Legend

Der Film von Ridley Scott, der nach seinen Meisterwerken ALIEN (1979) und BLADE RUNNER (1982) entstanden ist, hatte es richtig schwer an den Kinokassen. Trotz Hotshot Tom Cruise als Jack und einem richtig bösen, hervorragend spielenden Tim Curry als Darkness (in der europäischen Version bleibt dieser lange verborgen, wohingegen die US-Version Darkness in einer früheren Einstellung bereits zeigt), trotz einer fantastisch ausgestatteten, von Alex Thomson (EXCALIBUR, 1981) wunderschön fotografierten Märchenwelt mit Einhörnern, Feen, Waldnymphen, Elfen und abgrundtief bösen Trollen. Die erste Drehbuchfassung war düster, dunkel und enthielt sogar eine Sexszene zwischen der lieblichen Lili und dem bösen Lord. Doch dazu kam es nicht.

Goldsmith komponierte für LEGEND (1985) eine seiner vielseitigsten Musiken. Geschrieben für Orchester (grossartig, das National Philharmonic mit Mike Ross-Trevor am Mischpult), Chor, Einzelstimme und viele Synthesizer fängt er Scotts Welt unvergleichlich schön, verspielt, dann wieder düster und verführerisch und im Klangspektrum mannigfaltig ein. Sein Hauptthema («Main Title/The Goblins») ist ebenso ein Traum wie sein davon abgeleitetes Liebesthema für Lili und Jack. Entstanden 1985 empfand Goldsmith die Szenerie als passend um viel Synthesizer und Chorgesang («Living River/Bumps & Hollows/The Freeze») einzubauen – und es funktioniert wunderbar. Die elektronischen Beigaben fügen sich in die romantisch-impressionistische Komposition, ein Höhepunkt dieser Phase, die auch SECRET OF NIMH (1982), PSYCHO II (1983) und POLTERGEIST (1982) einschliesst. Alles gut also?

Zumindest dachte Goldsmith so. Doch der Film war eine Zangengeburt. Ständige, einschneidende Änderungen am Script, die den Ton des Films nach und nach zu ändern begannen und ein verheerender, die Kulissen vernichtender Brand in den 007-Studios in Elstree, führten zu einem unsteten Schlussergebnis. Die Testscreenings waren alles andere als gut und Scott musste seinen 113 Minuten Film auf 95 Minuten kürzen. Unter dieser Kürzung begann auch der Score zu leiden, Stücke wurden um platziert, zerschnitten, belanglos und musikalisch unlogisch aneinandergehängt. Dennoch erhielt die Musik bei den Kritikern oft gute Noten («das Beste des Films»). Trotzdem sah Universal Mann Sidney Sheinberg es als notwendig an, Goldsmiths Musik für das amerikanische Kinopublikum rauszuschmeissen und eine zeitgerechte Synthesizermusik von Tangerine Dream gestalten zu lassen, um an ein «jüngeres Zielpublikum» zu gelangen – trotz Protesten von Ridley Scott, der aber schlussendlich nachgab. Natürlich scheiterte das Vorhaben und LEGEND verfehlte die von Sheinberg, der höchstpersönlich eine neue Schnittversion managte, gesetzten Ziele. LEGEND war der letzte Film, den Goldsmith, der vom Rausschmiss seiner Musik lange nichts wusste, für Ridley Scott vertonen würde.

1992 erschien bei Silva Screen, damals ein grosser Player unter den Filmmusiklabels, das toll klingende 71 Minuten Programm inklusive eines guten Booklets. Das gleiche Label brachte 2002 die identische CD mit anderem Artwork und neuen Liner Notes heraus. Jetzt folgt in einem richtig kleinen Coup diese Doppel-CD des französischen Labels Music Box Records mit 75 Minuten Score auf CD 1 und dem bekannten, alten Album auf CD 2. Dort finden wir auch zwei Bonustracks: «Faerie Dance (Alternate)» und «The Dress Waltz (Alternate)». Neu auf der Score-CD sind die Tracks «Darkness Arisen» und das über drei Minuten dauernde «Playmates». «Darkness Arisen» beginnt mit verträumten Klängen, ehe musikalisch mehr und mehr die Finsternis übernimmt. Dieser Schnitt ist mit Synthies und tiefen Stimmen, Bässen und Schlagwerk gekennzeichnet. «Playmates» enthält kurze Momente des «Faerie Dance» und zeigt ein Hin und Her zwischen Gut und Böse. Orchester und Synthesizer wechseln sich ebenso wie kurze Schnipsel von Motiven und Themen ab und gehen ineinander über, bis ein markanter 3/4 Takt übernimmt, mit dem «Wee»-Motiv der Spiccato Violine abschliessend.

Zum neuen Album erhält man ein 16-seitiges Booklet mit Liner Notes von Jeff Bond. Klanglich ist die von Christophe Hénault bearbeitete und gemasterte CD nochmals einen Ticken besser als das Silva Screen Album. Klar, wer noch keine oder nur die 1985er Ausgabe der Musik als Album hat, der muss hier zuschlagen, sonst verpasst man einen wichtigen Höhepunkt in Goldsmiths Schaffen. Aber auch als Goldsmith-Fan, der alle bisherigen Alben schon sein Eigen nennt, kommt man eigentlich nicht um diese Ausgabe herum.

In Teil 4 der Serie «Another week with Jerry» wurde bereits auf LEGEND eingegangen. Ich übernehme für den Grossteil der Rezi zur neuen Music Box CD den Text daraus, angepasst und ergänzt.

Phil 26.11.2021

 

LEGEND

Jerry Goldsmith

Music Box Records

CD 1:
75 Min. / 16 Tracks
CD 2:
52 Min. / 12 Tracks