John Williams in Vienna

Mit «John Williams in Vienna» folgt von der Deutschen Grammophon die dritte prunkvolle Veröffentlichung mit Musik dieser Hollywood-Legende. Im März 2019 erschien bei diesem Label das hervorragende Doppelalbum «Celebrating John Williams», eingespielt von den Musikerinnen und Musikern der LA Philharmonic – anlässlich deren 100-Jahre-Jubiläum – und unter der Leitung von Gustavo Dudamel. Im August 2019 folgte das Album «Across the Stars» mit der Solistin Anne-Sophie Mutter, dem Recording Arts Orchestra of Los Angeles und Williams selbst am Dirigentenpult. Und ein Jahr später, im August 2020, erschienen verschiedenste Veröffentlichungen des Konzertereignisses «John Williams in Vienna» (von «Across the Stars» gibt es übrigens auch drei verschiedene Veröffentlichung, plus separat auf LP die Stücke «Remembrances» und «Markings»). Neben der hier rezensierten regulären CD-Version hiervon gibt es auch eine Deluxe Edition mit Blu-ray und eine LP-Veröffentlichung. In Sachen Unterhaltungswert ordne ich «John Williams in Vienna» zwischen den vorgenannten Veröffentlichungen ein – besser als «Across the Stars» (hier war mir das Geigenspiel mit zunehmender Laufzeit zu forciert) jedoch weniger spannend als «Celebrating John Williams». Denn wovon «John Williams in Vienna» allem voran lebt, sind die durchaus historischen Live-Umstände, unter denen dieses Programm frenetisch gefeiert wurde – Williams’ erster Live-Auftritt auf dem europäischen Festland (nachdem dieser im 2019 bereits geplant war, aber wegen gesundheitlichen Problemen Williams’ abgesagt werden musste), im renommierten Goldenen Saal der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien (im Musikverein) und mit den weltberühmten Wiener Philharmonikern und Anne-Sophie Mutter als Solistin. Die zwei Konzerte am 18. und 19. Januar 2020 waren subito restlos ausverkauft und in den sozialen Medien hagelte es im Nachgang Fan-Beträge, Fotos, Videos und glühende Konzertkritiken. Das Konzert an sich soll ein 3-stündiges Ereignis gewesen sein, wobei Williams, Mutter und die Wiener Philharmoniker nicht nur etliche Zugaben aufgrund von zahlreichen Standing Ovations spielten, sondern während dem Williams auch immer wieder selbst zum Mikrofon griff, um aus seinem Leben zu erzählen und Anekdoten rund um die gespielten Werke zum Besten zu geben. Ich beneide jeden, der dies live erleben durfte. Die vorliegende CD ist trotz aller unbestrittenen Qualitäten dennoch lediglich ein Abklatsch hiervon – nur schon deswegen, weil die hier präsentierten 75 Minuten nicht das gesamte Konzertprogramm umfassen (dieses gibt es nur auf der Blu-ray zu sehen und hören).

Für mich haftet «John Williams in Vienna» ein Souvenir-Charakter an. Abgesehen vom Aspekt eines Zeitdokuments – wenn man das so sehen darf – bietet die CD für langjährige Williams-Fans kaum Neues. Und da ich mich zu diesen zähle, drängt sich mir dann die Frage auf, weshalb ich dieses Album kaufen sollte. Die Highlights für mich sind «Devil’s Dance» aus THE WITCHES OF EASTWICK (1987) und «Dartmoor, 1912» aus WAR HORSE (2011), weil diese Stücke, soweit mir bekannt, zuvor in dieser Form noch nie zu hören waren. «Devil’s Dance» soll für das «Across the Stars»-Album scheinbar noch nicht fertig gewesen sein oder wurde nachträglich neu aufbereitet und «Dartmoor, 1912» wurde zu einer 6.5-minütigen, wunderschönen Suite ausgebaut, die so weder auf dem Original Soundtrack-Album noch auf der 4-CD-Box «John Williams: The Great Movie Soundtracks» von 2015 zu finden ist (dort ist eine 3.5-minütige Version von «Dartmoor, 1912» beinhaltet, ähnlich dem Eröffnungsstück auf dem Original Soundtrack). Alle anderen Beiträge auf dieser CD sind in vergleichbarer Form schon etliche Male veröffentlicht worden. So sehr die «Main Titles» aus STAR WARS (1977), «The Flight to Neverland» aus HOOK (1991), die Suite aus «CLOSE ENCOUNTERS OF THE THIRD KIND (1977), die «Main Titles» aus JURASSIC PARK (1993) und «The Adventures on Earth» aus E.T. – THE EXTRA-TERRESTRIAL (1982) Kult-Charakter geniessen, finde ich wiederholte Neuaufnahmen dieser Stücke weniger interessant – selbst wenn die Wiener Philharmoniker aufspielen. Die hier enthaltenen Stücke sind grossmehrheitlich Evergreens dieses legendären Komponisten – allesamt gefeierte Filmmusik-Referenzwerke, jedoch mit wenig Überraschungen. Deshalb finde ich das eingangs erwähnte «Celebrating John Williams»-Album gelungener – es präsentiert mehrheitlich die gleichen Evergreens, packt aber noch weniger oft gehörte, aber nicht minder geniale Williams-Kompositionen wie «Scherzo for Motorcycle and Orchestra» aus INDIANA JONES AND THE LAST CRUSADE (1989), «Sayuri’s Theme» aus MEMOIRS OF A GEISHA (2005), das «Adagio» aus THE FORCE AWAKENS (2015) und «Olympic Fanfare and Theme» von 1984 oben drauf. Ob sich nun die Wiener-Darbietung von «Adventures on Earth» von jener von der LA Philharmonic abhebt, vermag ich nicht zu beurteilen – beide sind für mich von höchster Güte. Williams selbst soll gesagt haben, dass für ihn der «Imperial March» aus STAR WARS: EPISODE V – THE EMPIRE STRIKES BACK (1980) live nie besser geklungen haben soll als mit den Wiener Philharmonikern im vergangenen Janaur. Dem mass ich mir selbstverständlich kein anderes Urteil an, doch fehlt mir auch die Kompetenz, deren Spiel von jenem der LA Philharmonic oder eines London Symphony Orchestra punkto Qualität zu unterscheiden. Damit bleibt für mich einfach der Blick auf «John Williams in Vienna» punkto CD-Programm und dieses finde ich abgesehen von den erwähnten Beiträgen «Devil’s Dance» und «Dartmoor, 1912» altbekannt und wenig aufregend. Dass der Stellenwert dieser CD (sowie LP und Blu-ray) für jene, die das Konzert live miterleben durften, höher ist, kann ich mir gut vorstellen.

Noch zu Anne-Sophie Mutter: Ihre Beiträge auf dieser CD sind marginal, obwohl sie prominent auf dem Cover genannt wird. Im Rahmen der Konzerte war sie als Solistin während satten sieben Stücken zu hören, doch auf die CD hat es eigentlich nur eines geschafft – die Weltpremiere-Aufnahme von «Devil’s Dance» aus THE WITCHES OF EASTWICK (1987), wobei dieses Stück definitiv ein virtuoses Highlight ist. Im «Raiders March» (das abschliessende Stück auf dieser CD) präsentiert sie kein eigentliches Neu-Arrangement von Williams, sondern spielt «lediglich» prominent beim mittleren «Marion’s Theme»-Segment als Lead der Violinstimme mit. Doch all die anderen Konzertbeiträge von Anne-Sophie Mutter («Hedwig’s Theme» aus HARRY POTTER AND THE PHILOSOPHER’S STONE (2001), «Theme from “Sabrina”» aus SABRINA (1995), «Donnybrook Fair» aus FAR AND AWAY (1992), «Nice to Be Around» aus CINDERELLA LIBERTY (1993), «The Duel» aus THE ADVENTURES OF TINTIN (2011) und «Remembrances» aus SCHINDLER’S LIST (1993)) sind nur auf der Blu-ray von «John Williams in Vienna» zu hören. Hingegen befinden sich diese Stücke alle auf dem Album «Across the Stars», womit sie dem interessierten Hörer auch abseits der «Vienna»-Blu-ray zugänglich sind. Damit bilden die CDs «Across the Stars» und «John Williams in Vienna» eigentlich eine Art Kombo. Diesen Eindruck hat man auch aufgrund der Aufmachung der beiden Alben: die CD-Gestaltung ist gleich. Es wäre daher nicht verwunderlich, wenn das Violinkonzert, das John Williams aktuell für Mutter komponieren soll, später ebenfalls bei der Deutschen Grammophon in vergleichbarer/gleicher Aufmachung erscheinen würde – die Williams/Mutter-Reihe quasi.

Fazit: «John Williams in Vienna» war allem voran in konzertanter Form ein historisches Ereignis. Die CD hierzu ist zweifelsohne von höchster Qualität, präsentiert jedoch kaum Überraschungen und fungiert daher eher als «Beleg des Geschehenen» und weniger als substanzieller Zugewinn für die Williams-Sammlung. Wer dem Live-Erlebnis näher sein will, der kommt um die unterhaltsame Blu-ray und damit die Deluxe-Edition nicht herum.

Basil 5.10.2020

JOHN WILLIAMS IN VIENNA

John Williams

Deutsche Grammophon (Universal)

75:01 Min.
13 Tracks