von Phil Blumenthal
Statt eines einzelnen Stückes, das wir hier in «Nahaufnahme» auch behandeln, möchte ich in diesem Artikel auf Michael Kamens famosen Score zu John McTiernans nicht weniger beeindruckenden und unterhaltsamen Actionfilm eingehen.
ZUM FILM
Der Plot ist bekannt: Am Weihnachtsabend reist John McClane, ein New Yorker Cop, nach Los Angeles um seine Ehefrau, Holly, und die Kinder zu besuchen – die Beziehung steht allerdings seit einiger Zeit unter keinem guten Stern. McClane wird zum Nakatomi Plaza Hochhaus gefahren, wo die Weihnachtsfeier der Firma, in der Holly arbeitet, stattfindet. Kurz nach McClanes Eintreffen, wird die Party der Nakatomi Group von einem Team Krimineller, unter der Führung von Hans Gruber, jäh untrerbrochen und die Teilnehmenden als Geiseln genommen. Ziel von Gruber und seiner Truppe sind die 640 Millionen US-Dollar Wert an Inhaberpapieren, die in einem Hochsicherheitssafe aufbewahrt werden. Spielverderber ist John McClane, der im Hintergrund nach und nach Grubers Leute ausschaltet, ganz zum Verdruss des fiesen Oberbösewichts.
DIE HARD basiert auf einem Drehbuch von Jeb Stuart, der die Nachfolgestory zu THE DETECTIVE (1968, Film mit Frank Sinatra), «Nothing Lasts Forever» adaptierte. Stuarts Script wurde von Steven E. de Souza (48 HRS., COMMANDO) umgeschrieben, der der Geschichte einen komödiantischeren Ton verleihen sollte und Gruber zu einem Hauptprotagonisten emporhob, während McClanes Charakter lange nicht vollends entwickelt war und sich eigentlich erst während des Drehs manifestierte. Nach der üblich langen Castingvorproduktion, die unter anderem Mel Gibson, Clint Eastwood, Sylvester Stallone, Richard Gere und Arnold Schwarzenegger in der Rolle des John McClane vorsah, holte man Bruce Willis, der damals in der TV-Serie MOONLIGHTING (für die er den Emmy gewann) an der Seite von Cybill Shepherd und in Komödien wie BLIND DATE (1987) und SUNSET (1988), beide Flops von Blake Edwards, spielte und für die DIE HARD die damals für einen Newcomer fast unerhörte Summe von 5 Millionen $ erhielt. John McTiernan, der PREDATOR zum Boxoffice Knaller führte, übernahm die Regie, während in weiteren Rollen Bonnie Bedelia als Holly und Reginald ValJohnson als L.A. Cop zu sehen sind – und als genialer Schachzug Alan Rickman als Hans Gruber, der Bruce Willis beinahe die Show stahl. Rickman war zunächst zurückhaltend und wollte die Rolle, seine erste in einem Kinofilm, nicht annehmen, mitunter aus Angst damit gleich schubladisiert zu werden, was dem Mimen, der 2016 verstarb dann doch desöfteren passierte.
Die Dreharbeiten begannen im November 1987, wobei das 20th Century Fox eigene Gebäude Fox Plaza als Nakatomi Plaza herhalten und von den Machern gemietet werden musste. Als Director of Photography amtete Jan de Bont, der 1995 SPEED inszenierte, den Film schnitten Frank J. Urioste (ROBOCOP) und John F. Link (PREDATOR). Das Budget von DIE HARD wird auf 25 – 35 Millionen Dollar geschätzt, produziert wurde der Film von Lawrence Gordon und Joel Silver (u.a. LETHAL WEAPON, THE LAST BOY SCOUT, HUDSON HAWK). Der Film, der von tollen Actionszenen, Stunts und coolen Sprüchen profitiert, spielte weltweit 148 Millionen Dollar ein – dies, obschon Analysten auf einen Flop setzten – und katapultierte Bruce Willis, der während des Drehs 2/3 seines linken Gehörs einüsste (bei einem Schusswechsel unterhalb eines Tisches mit den seitens Tonteam gewünscht absichtlich überlauten Dummypatronen), urplötzlich an die Spitze der Leading Actors Hollywoods. DIE HARD wurde nebenher für vier Oscars® nominiert: Schnitt, Ton, Toneffekte und Spezialeffekte. Für uns deutschsprachige Zuschauer sorgten die paar Fetzen Deutsch, die einige der bad guys in der nicht synchronisierten Fassung von sich gaben für den ein und anderen ungewollten Lacher, «mach es los» anstelle von «vorwärts» und «los geht’s» gehört dabei zu den Lowlights. Der Erfolg des Films zog noch erfolgreichere Sequels nach sich, bei denen auch Michael Kamen weiterhin als Komponist eingesetzt wurde: DIE HARD 2 (1990, Renny Harlin) und DIE HARD WITH A VENGEANCE (1995); John McTiernan übernahm für den dritten Teil nochmals die Regie, bei DIE HARD 2 war er mit THE HUNT FOR RED OCTOBER beschäftigt.
ZUR MUSIK
Mitträger für den Erfolg des Films ist Michael Kamens Filmmusik. Kamen kam damals frisch von LETHAL WEAPON (und tonal hat DIE HARD durchaus Nähen zur Komposition zum Richard Donner Film), einer weiteren Joel Silver Produktion, und hatte sich einen Namen mit THE DEAD ZONE, BRAZIL und HIGHLANDER gemacht. John McTiernan hatte eine spezielle Vorstellung in Sachen Musik und sah Beethovens «Ode an die Freude» aus dessen viertem Satz der 9. Sinfonie als Teil des Scores vor. Michael Kamen war davon wenig begeistert – doch als ihm McTiernan von der Verwendung von Beethovens Komposition in Stanley Kubricks A CLOCKWORK ORANGE erzählte, willigte auch Kamen ein. Kamens Musik aber hat einen weiteren, wichtigen Aspekt: Er fügt die schnellen Schnitte und Wechsel von Innen. und Aussenaufnahmen zu einem Ganzen zusammen – und dies obschon mit seiner Intention nicht immer ganz feinfühlig umgegangen wurde, soll heissen, Tracks und Ausschnitte wurden nicht immer dort platziert, für was sie vorgesehen gewesen waren, wiederholt und manchmal geloopt. Und doch ist es Kamens durch und durch «todernste» (pardon the pun) Musik, die dem Film das Amalgam gibt. Die «Ode an die Freude» setzt Kamen variantenreich für die Fieslinge ein, während er für McClane ein 4-Noten-Motiv geschrieben hat (das allerdings erst später im Score u.a. in «And if He Alters it?» erklingt) und ihm ausserdem einen Hauch Wild West zuschreibt (Steelgitarre) – immerhin beschreibt McClane später eine gewisse Affinität zu Roy Rogers, anstatt zu John Wayne (nicht ohne Augenzwinkern und dem abgeänderten, längst ikonischen «Yippee-ki-yay, motherfucker» (Rogers’ Version war sanfter: Yippee-ki-yay, kids.
Um die Ernsthaftigkeit seiner Musik etwas auszubalancieren, so könnte man meinen, arbeitet Kamen ausserdem ein bisschen «Singin’ in the Rain» und «Winter Wonderland» in seinen Score ein – aber sie werden ebenfalls mit den Baddies assoziiert. Trotz der Ironie, die diese Stücke mit sich bringen, bleibt die Musik auf der no-nonsense Basis und das wird spätestens mit Auftreten der Fiesling, wenn nicht schon mit den bedrohlichen Klängen in «Main Title» hörbar. Kamen setzt auch auf das gerne eingesetzte Pizzicato – für einen Actionfilm bemerkenswert -, furiose Blechattacken, Eruption der Hörner, gelend schrille Piccolofiguren und donnernde Perkussion und sein unverkennbares Komponieren für die Streicher. Jede Actionszene und Spannungsmomente sind mit Musik unterlegt, treiben diese voran und unterstreichen sie – selbst dann, wenn die Macher Kamens Musik zerstückeln und anders als gedacht einsetzen.
Die oben angesprochene, leitmotivisch motivierte Komposition verarbeitet Kamen quasi nahtlos in seinen Score, sie kommen und gehen, manchmal auffälliger (Beethoven) manchmal unaufällig, fast versteckt und immer clever arrangiert. In den zusammen genommen rund 10 Minuten dauernden Schlusstracks «The Battle/Freeing the Hostages» und «Helicopter Explosion and Showdown» sind nicht nur alle seine 5 Motive zu hören, es sind dies auch zwei grandiose Stücke für das Finale. Aber… Bekannt ist allen, die den Film gesehen haben, dass McTiernan mit Kamens Schlussmusik beim Zusammentreffen mit Valjohnsons Cop und seiner Ehefrau Holly sowie dem unvermeidlichen, letzten «Aufmüpfen» von Karl (Alex Godunov) nicht happy war und den Fehler machte diese Szenen mit Musik aus John Scotts MAN ON FIRE und James Horners ALIENS zu unterlegen. Hier ist im Film ein hör- und fühlbar derart abrupter Bruch entstanden, dass man sich wortwörtlich im falschen Film meint. Ein abschreckendes Beispiel wie man es nicht machen und den Komponisten seinen Job verrichten lassen sollte.
DIE HARD ist sofort als ein Michael Kamen Score erkennbar, seine Handschrift im Umgang mit einem grossen Sinfonieorchester, gerade in Action und Thrillern, reichhaltig, lebhaft und fleissig als Merkmal, war stets auffällig und da individuell, sofort dem Komponisten zuzuschreiben. Auch wenn er in DIE HARD beinahe wall-to-wall Scoring à la Max Steiner betrieb (was in heutigen Blockbustern allzu oft wieder verbraten wird), so war Kamen fortan und für Jahre Synonym für das Genre. Kamens Komposition ist untrennbar mit dem Film verbunden wie es Jerry Goldsmith mit FIRST BLOOD oder Arthur B. Rubinstein mit BLUE THUNDER sind. Verglichen mit dem, was wir heute im Genre zu hören bekommen, ist DIE HARD ein intellektueller, (durch den Komponisten) meisterhaft gehandhabter und einfach saugut gemachter Score.
ZUR CD
Erstaunlicherweise mussten die Filmmusikfans lange warten bis endlich eine offizielle Soundtrackauskopplung erschien. 2002 legte Varèse eine 67 Minuten dauernde CD auf den Tisch, während La-La Land 2011 ein Doppelalbum produzierte, das 2017 nochmals aufgelegt wurde und 2018 gar eine auf 3CDs erweiterte Jubiläumsfassung (zum 30jährigen Jubiläum des Films und das Album, das man als Fan haben sollte). Das bescheidene Bootleg von Pony Tail kann also längst in die Besenkammer abgelegt werden.
09.01.2024