The Fabelmans

Wenn die Filme von Steven Spielberg, ausser des exzellenten Handwerks, etwas gemein haben, dann ist es die erzählerische Integrität und Stärke, die bleibenden Charaktere. Davon zeugen fast alle seiner Werke, mit einzelnen Ausnahmen (mir fallen AMISTAD oder THE TERMINAL ein), die wie immer die Regel bestätigen. Nein, nicht alle seine Filme sind unvergesslich geblieben, so einige wie E.T.-THE EXTRA-TERRESTRIAL, JAWS und CLOSE ENCOUNTERS OF THE THIRD KIND aber zähle ich zu meinen absoluten Lieblingsfilmen. Aufgewachsen mit Spielbergs Filmen sind dabei freilich auch die Musiken von John Williams zu (m)einem Lebensteil geworden. Nun schliesst sich mit THE FABELMANS ein fast 50 Jahre und über 30 Filme dauerndes Kapitel. John Williams wird im Februar 2023 91 Jahre alt und hat es ohne Zweifel verdient sich auf sein Altenteil zurückzuziehen. Vorher aber komponierte er noch den Score zu Spielbergs ganz persönlichem, biografischem Film (und nicht zu vergessen den fünften Teil der INDIANA JONES-Serie, ohne Spielberg auf dem Regiestuhl), in dem wir den kleinen Sammy Fabelman bei seinem ersten Kinobesuch bis hin zum Beginn seines grossen Traumes (als Sam Fabelman notabene) begleiten. Wer sich mit Spielbergs Bio auseinandergesetzt hat, erkennt wie eng er sich mit THE FABELMANS an seine Kindheit und Jugendjahre gehalten hat. Entstanden ist ein faszinierender, emotional packender Film eines Mannes, der seinen grossen Traum Filmemacher zu werden, mit ebenso grossen Augen verfolgt hat.

Zunächst ist da die Erwartungshaltung. Spielberg dreht einen 150 Minuten Biopic und John Williams schreibt die Musik. Sony veröffentlicht eine knapp 31 Minuten dauernde CD auf der sich nebst Williams auch Komponisten wie Johann Sebastian Bach, Joseph Haydn oder Friedrich Kuhlau tummeln. Die Lösung des Rätsels wird klarer, wenn man den Film gesehen hat. Da ist Sammys Mutter, die Pianistin ist (und ihren Traum nie verwirklichen konnte – sie spielt onscreen also Klavier im Hause der Fabelmans) und da sind die 8mm und 16mm Filme, die Sammy dreht und mit Musiken aus anderen Filmen unterlegt (Elmer Bernstein, Alfred Newman beispielsweise) oder die im Kino zu hören sind (Victor Young, Cyril J. Mockridge). Williams und Spielberg haben den eigentlichen Score zu THE FABELMANS auf ein Minimum reduziert, auf rund 22 Minuten. Das mag den Fan nun vielleicht enttäuschen, und doch, es passt so wie es ist.

John Williams, der Spielbergs Eltern gut gekannt hat und sie desöfteren zu Recording Sessions einlud, hat ein feines, bezauberndes und manchmal verträumt klingendes Familienmotiv («The Fabelmans»), meist für Klavier, Harfe und Celesta geschrieben, das uns in dieser Art auch schon in E.T.-THE EXTRA-TERRESTRIAL (ein anderer persönlicher Spielberg-Film) und seither vermehrt, insbesondere in A.I. ARTIFICIAL INTELLIGENCE begegnet ist. Von der Gitarre gespielt ist es in «Mother and Son» zu hören. Der Score reflektiert das nach innen gewandte und von Spielberg so gezeigte Familienleben aus Sammys Sicht nicht mit grossen, ausufernden und massig instrumentierten Melodien, sondern mit in sich gekehrten, stillen Klängen. Erst im Schlussstück «The Journey Begins» hören wir ein volleres orchestrales Arrangement, während «Midnight Call», eine Szene, die an POLTERGEIST (1982) erinnert, düsteres Ambiente, u.a. mit Synthesizern, verbreitet. Ein zweites Thema ist mit den bedrückend traurgen Momenten aber auch Sammys Mutter, Mitzi, verbunden: «Reverie», «Reflections».

THE FABELMANS ist ein erstaunlich persönlicher Film und so ist auch die Musik von John Williams unmittelbar mit der Natur des Stoffes, der Charaktere und des Films zu sehen – und zu hören. Sehr persönlich eben. Somit steht dieser Score auch für die letzte Zusammenarbeit von Steven Spielberg und John Williams, die das Filmbusiness geprägt haben wie kaum ein anderes Regisseur/Komponisten Duo.

Nun, wo ist der Horizont?

Phil  |  28.12.2022

THE FABELMANS
John Williams
Sony Classical
31 Min. | 12 Tracks