Zwingli

Vor 500 Jahren kam Huldrych Zwingli nach Zürich. Seine berühmte Aussage «Tut um Gottes willen etwas Tapferes» ist jedem geläufig. Er war ein Schweizer Theologe und der erste Zürcher Reformator. Sein Tun initiierte die Zürcher und Genfer Reformation, woraus die reformierte Kirche hervorging. Anlässlich des diesjährigen Reformationsjubiläums kam am 17. Januar 2019 der Schweizer Film ZWINGLI von Regisseur Stefan Haupt in die Kinos, ein aufwändig produzierter Spielfilm über die Zürcher Jahre von Zwingli (von 1519 bis 1531), üppig in der Ausstattung, leidenschaftlich in der Narratologie. Von den Dimensionen her durchaus eine Besonderheit für die Schweizer Filmszene – mit einem Budget von rund sechs Millionen Franken eine wahre Grossproduktion. Selbst nach drei Monaten seit dem Kinostart ist ZWINGLI noch immer in den Programmen der Deutschschweizer Kinos zu finden und seit Ende März wird er auch in der Westschweiz gezeigt. Über 220’000 Besucher haben sich bis dato mit diesem Film in die Zwingli-Jahre in Zürich entführen lassen. Damit kann ZWINGLI den bis jetzt besucherstärksten Filmstart im Kinojahr 2019 in der Deutschschweiz vorweisen.

Ausserordentlich ist zudem auch die Filmmusik der drei Baldenweg-Geschwister Diego, Nora und Lionel geworden – tätig als Great Garbo mit ihrem Studio mitten in Zürich. Sie liefern eine bedrückende und zugleich hoffnungsvolle, alles umwehende Filmmusik. Entstanden ist diese über einen Zeitraum von rund zwei Jahren, wobei die Baldenwegs zu Beginn aus budgettechnischen Gründen davon ausgegangen sind, dass die Musik mit gänzlich elektronischen Mitteln umgesetzt werden muss. Doch die Bemühungen für eine Musikaufnahme mit Live-Musikerinnen und -Musikern trug Früchte und die benötigten finanziellen Mittel hierzu konnten gesichert werden. Es folgte eine 3-wöchige Umarbeitung der Musik in eine orchestrale Partitur. Für die Einspielung konnte ein beachtliches Ensemble engagiert werden: das Zürcher Kammerorchester (22 Musikerinnen und Musiker), ergänzt mit einem 8-köpfigen Holzbläser-Ensemble; dazu Sologesang von Larissa Bretscher und 28 Sängerinnen und Sänger des Vokalensembles Zürich West, wobei der Gesang in historischen Kirchgemäuern separat aufgenommen wurde; Tobias Willi steuerte Improvisationen auf der Orgel aus dem eindrücklichen Zürcher Grossmünster bei; und – last but not least – spielen die Violinsoli als «Stimme Zwinglis» von Daniel Hope, dem Music Director und Violinist des Zürcher Kammerorchesters eine tragende Rolle. Diego, Nora und Lionel Baldenweg konnten hier also aus dem Vollen schöpfen und das hört man dem Ergebnis auch an.

Das gut 66-minütige Album eröffnet mit dem «Prologus» – samtig und mystisch, wobei auch eine winterliche Kühle durchschlägt. Dazu die stimmungsvollen Bilder des mittelalterlichen Zürichs, das aus dem Schlaf erwacht. Der Auftritt Zwinglis wird mit ersten Violinsoli, gespielt von Daniel Hope, angekündigt. Die Baldenwegs wählten die Geige für Zwinglis Person, da sie mit deren Spiel Charaktereigenschaften Zwinglis in Musik übersetzen konnten – scharf, klar, konkret und zugleich lieblich.

In «Pura» wird der Sologesang von Larissa Bretscher eingeführt. Ihre verhalten rufende Stimme über einem feinen Streicherteppich ist sehr effektvoll und haucht zahlreichen weiteren Szenen im Film viel Emotionalität ein. Ein Highlight bzgl. dem Gesang ist auch das Stück «Genesis», wobei Bretscher mit dem Chor zusammen requiem-ähnliche Klangfarben schafft. Auf ganz anderem Ton spielen die lebhaften Stücke «Tempus Fugit» – zu hören während der Szenen, in denen Zwingli an Martin Luther einen Brief schreibt und den Solothurner Ratsherren die «Übersetzungswerkstatt» zeigt – und «Agitato», mit treibenden Streichern und Pizzicato-Betonungen. Hier wird Aufbruch, Aktionismus, ja gar Aufmüpfigkeit, effektvoll nachgezeichnet – das unter Hunger, Armut und der Pest leidende, gelähmte Zürich, porträtiert mit dunklen, sich spiralförmig abwärtsbewegenden Musikkompositionen, bekommt frischen Wind zu spüren. Diesen treibenden Charakter weist auch das Stück «Tumultus Et Tempestas» auf, wobei hier klar dunkler eingefärbt und zum Schluss hin von Bretscher solistisch begleitet.

Speziell erwähnt werden sollen zudem noch die Stücke «Mersatur» und «Verbum Vivat». Das Stück «Mersatur» begleitet die Szene, in der Felix Manz, der Täufer und frühere Gefährte Zwinglis, von den Zürchern in der Limmat ertränkt wird. Das ist elendiglich zum Anschauen und die Musik hüllt diese Szene in ein zusätzlich bedrückendes, bleiernes Gewand – tiefer, monotoner Männergesang, «verurteilendes», fernes Glockenspiel und beharrlich an- und abschwellende Streicher begleiten Manz in den Tod, mitverfolgt von bedrückten Passanten entlang dem Limmatufer. Das ist zwar grauenhaft, aber in der Klangsprache sehr gelungen, da fesselnd und eindringlich. Das Stück «Verbum Vivat» spielt auf ganz anderem Ton. Hier erklingt das Zwingli-Thema, doch dieses Mal von flatternden Holzbläsern hoffnungsvoll und zuversichtlich überhöht.

Fazit: Mit ZWINGLI legen die Baldenweg-Geschwister Diego, Nora und Lionel nicht nur eine stimmungsvolle Filmmusik vor, sondern auch eine Arbeit, die in Bezug auf die Produktionsdimensionen für Schweizer Verhältnisse durchaus als Ereignis gefeiert werden darf. Punkto gewählter Stilmittel und Auslegung – nicht thematische Ähnlichkeiten – komme ich nicht umhin, gewisse Parallelen zu Reinhold Heil, Johnny Klimek und Tom Tykwers Score zu DAS PARFUM – DIE GESCHICHTE EINES MÖRDERS (2006) zu sehen – ebenfalls eine gelungene Arbeit, wenn auch stellenweise epischer, weniger intim. Das Album zu ZWINGLI ist mit 66 Minuten Spielzeit – fast die komplette Filmmusik, wie Diego Baldenweg in einem Interview mit John Mansell für Movie Music International anfangs dieses Jahres erklärte – sehr grosszügig ausgefallen, doch man verweilt dank abwechslungsreichem Programmieren gerne über die gesamte Albumspielzeit.

Basil, 20.4.2019

ZWINGLI

Diego Baldenweg mit Nora & Lionel Baldenweg

Great Garbo Music

67 Min.
20 Tracks