Venom: Let there be Carnage

Neuer VENOM, neues Glück? In Bezug auf die Filmmusik darf man das – erleichtert – bejahen. Nach Ludwig Göranssons grossmehrheitlich kühler, schroffer Musik für den ersten Teil, VENOM (2018), hielt sich bei mir die Vorfreude auf eine allfällige filmmusikalische Fortsetzung in Grenzen. Persönlich änderte hieran auch die Ankündigung nichts, dass für VENOM: LET THERE BE CARNAGE (2021) Komponist Marco Beltrami übernehmen würde, zumal mir seine bisherigen Arbeiten für Action-, Thriller- und Horrorfilme meist lediglich als funktional in Erinnerung blieben. Mehr Gefallen finde ich an seinen ruhigeren Kompositionen wie THE GIVER (2014), THE HOMESMAN (2014), 1864 (2014) oder MATHILDE (2017). Jedoch kann natürlich keines dieser Werke als mögliche Referenz für sein musikalisches Porträt von Venom und Carnage herangezogen werden… Beltramis VENOM präsentiert viel entfesselte, laute, tobende Orchestermusik, verschiedenste Stilrichtungen und zahlreiche Themen. Um Regisseur Andy Serkis aus dem Booklet-Text zu zitieren: «von schlichter dissonanter Traurigkeit bis hin zur apokalyptischen B-Movie-Oper mit Millionen von nuancierten Klangschattierungen dazwischen.» Das ist zwar kurzweiliger als Göranssons Ansatz für den ersten Teil, verlangt einem indes mit seiner 68-minütigen Spielzeit und der Fülle an Ideen, Themen und Stilrichtungen sowie dem anhaltenden Bombast viel ab.

In VENOM: LET THERE BE CARNAGE treffen Journalist Eddie Brock und der von ihm immer mal wieder Besitz ergreifende morbide, gefrässige Symbiont Venom auf den Serienkiller Cletus Kasady. Als sich Cletus in Eddie wortwörtlich verbeisst, bekommt er auch von dessen Symbionten einen Happen ab. Kurz darauf, verwandelt auch Cletus sich immer mal wieder in ein gefrässiges Monstrum namens Carnage. Zu diesem Vierergespann kommen zwei Gespielinnen hinzu und damit zwei verworrene Liebesgeschichten. Cletus will mit der nicht minder gestörten Bösewichtin Shriek turteln und Eddie versucht sein Glück auch im zweiten VENOM-Film bei Anne. All diesen Figuren und Konstellationen hat Marco Beltrami spezifische Themen und Motive auf den Leib geschrieben. Diese Komposition der Leitmotive und die zahlreichen elektronischen Elemente markierten denn auch den Anfang seiner Arbeit für diesen Film, wie er in einem Interview mit dem Online-Magazin «Comingsoon.net» ausführte. Beltrami in besagtem Interview: «Bei einem Projekt wie diesem gehe ich in der Regel von einem sehr allgemeinen Überblick über die thematischen Elemente aus. Es gibt ein Thema für Venom, es gibt ein Buddy-Thema für Eddie und Venom, und Eddie hat sein eigenes Thema. Es gibt ein Thema für Carnage und ein Thema für die Liebesgeschichte. Ich arbeite an diesen Ideen […]. Dann teile ich diese Themen mit Andy oder dem Studio, erhalte Feedback und passe anschliessend alles an die jeweiligen Szenen an.» Das Resultat ist ein leitmotivischer Score, der nicht nur mit diesen vielen unterschiedlichen Themen spielt, sondern deren jeweiligen Stile sich auch substanziell voneinander unterscheiden – dramatische Streicher, dissonanter Horror, kreischende Synthis, bluesige Töne, rockige E-Gitarrenklänge… Wer all diesem Geschehen folgen will, der muss voll bei der Sache sein und dies ist bei einer solchen Spielzeit wahrlich fordernd, zumal man die Musik vielleicht nicht zu Studienzwecken hören will. Allein der 10-minütige Zweiteiler «Unholy Matrimony» böte Stoff für eine mehrseitige Analyse – hier verwebt Beltrami fast alle Themen zu einem wutentbrannten musikalischen Showdown.

Es ist wahrlich beeindruckend, mit welch geballter Ladung an Ideen und Themen Marco Beltrami für VENOM: LET THERE BE CARNAGE aufwartet – und das in einem Jahr, das für ihn mit acht zusätzlichen Projekten besonders geschäftig ausgefallen ist und in dem er unter Covid-Bedingungen arbeiten musste (so sollen die eingehenden Gespräche mit dem Regisseur Serkis stets nur per Telefon und Calls stattgefunden haben). Doch krankt die Arbeit für mich letztlich an drei Schwächen: (1) von den vielen Themen vermag bis auf das Eddie/Venom-Thema kaum eines nachzuhallen beziehungsweise nachhaltig zu begeistern (ein Aspekt, den ich auch in Bezug auf viele Themen anderer Beltrami-Arbeiten nennen müsste); (2) die breite Palette an Musikstilismen in Kombination mit den eher blassen Themen erschweren einen roten Faden; (3) der anhaltende Bombast erschöpft (ein Aspekt, den ich bei fast allen Superhelden-Soundtracks monieren muss), insbesondere auch in Bezug auf die Themen für Cletus und Carnage, die als dissonante Kompositionen für Blechbläser und Streicher kombiniert mit aggressiver Elektronik und Rockmusik-Rhythmen daherkommen. Stücke wie «Carnage Unleashed» und mehrere Passagen im finalen Albumdrittel möchte man dann zur Erholung einfach mal wegprogrammieren. Sprich, VENOM: LET THERE BE CARNAGE lässt die Musik zum ersten Teil alt aussehen, aber auch dieser zweite VENOM-Score wird bei mir wohl nur sporadisch wieder in der Playlist aufpoppen – mit den melodischeren Stücken «Get Shriek», «Turn on the Charm», «He Did Not Taste Good» und «Venom and Blues».

Basil  |  20.12.2021

 

VENOM: LET THERE BE CARNAGE

Marco Beltrami

Sony Music

67:47 | 30 Tracks