Unumwunden, nebst KOJAK (1973 – 1978) und COLUMBO (1971 – 2003) war THE STREETS OF SAN FRANCISCO (1972 – 1977) meine liebste Krimiserie. Als Jungteenie habe ich mich damals mehr gen USA orientiert, anstatt mich DERRICK oder DER ALTE zuzuwenden. Noch waren die Staaten eine Traumdestination, grosse Polizeiautos mit ihren unverkennbaren Sirenen ebenso wie das charismatische Team mit Detective Stone und Inspector Keller wesentlich spannender als Inspektor Derrick und Harry Klein.
Als Quinn Martin die Idee für STREETS entwickelte, waren Crimeserien in den Staaten in der Überzahl. Obwohl langsam das Interesse bei den Zuschauern abnahm, konnten sich STREETS ebenso wie KOJAK einige Jahre behaupten.
Für THE STREETS OF SAN FRANCISCO fand man in Karl Malden einen Charakterdarsteller, der bis anhin nicht fürs Fernsehen zu haben war. Für ihn war die erste Season denn auch erlebtes Grauen mit schier nicht enden wollenden Drehtagen plus hin- und herreisen zwischen Aussendrehs in San Francisco und Innendrehs in Los Angeles. Er bestand schliesslich für die zweite Saison darauf, den Dreh vollständig nach Frisco zu verlegen und die Drehbücher zeitig vor dem ersten Drehtag zu erhalten. Und siehe da, die Serie wurde noch besser.
Malden zur Seite stellte man den jungen Michael Douglas, der sich in dieser Phase auch einen Namen als Produzent machen würde (ONE FLEW OVER THE CUCKOO’S NEST, 1975). Das Duo war die ideale Besetzung für die Serie. Malden, ein liebenswürdig mürrischer, erfahrener Vorgesetzter, Douglas, der unerfahrene Jungspund und Collegeabgänger. Obwohl die Serie sich zunächst, programmiert an einem Samstag, gegen populäre Sitcoms nicht so richtig durchsetzen konnte, erwies sich die Verschiebung auf den Donnerstag ab Season 2 als goldrichtig. Nach dem Erfolg mit CUCKOO’S NEST verliess Douglas die Serie und wurde durch Richard Hatch (BATTLESTAR GALACTICA, 1978) für die letzten 24 Folgen ersetzt. Als schliesslich eine Vertragsverlängerung mit Karl Malden bevorstand, sich STREETS in einem neuen Timeslot mit einer anderen Quinn Martin-Serie wiederfand (BARNABY JONES, 1973 – 1980) und die Ratings deswegen in den Keller gingen, wurde schliesslich das Ende verkündet. Karl Malden ist übrigens als einziger Charakter in allen 119 Episoden zu sehen. 1992 wurde der TV-Film BACK TO THE STREETS OF SAN FRANCISCO gedreht, Michael Douglas kehrte aber nicht mehr in die Strassen der hügeligen, kalifornischen Stadt zurück.
Ein treuer Begleiter von THE STREETS OF SAN FRANCISCO war Patrick Williams (zum Interview). Für diese Serie durfte der 2018 verstorbene, erfahrene TV-Komponist, Arrangeur und Jazzmusiker das Titelthema schreiben. Und was für eines! Noch heute gilt es mit THE WALTONS (Jerry Goldsmith), HAWAII-FIVE-0 (Morton Stevens) und MISSION: IMPOSSIBLE (Lalo Schifrin) als eines der feinsten Themen im Fernsehzirkus.
Patrick Williams betreute musikalisch unter anderem die THE MARY TYLER MOORE Show und schrieb Scores zu Episoden anderer Serien wie CANNON, COLUMBO und LOU GRANT (für die er mit dem Emmy ausgezeichnet wurde). Nebst seiner Tätigkeit im Fernsehen, war er auch im Kino tätig (USED CARS, 1980; CUBA, 1979), insbesondere aber machte er sich einen Namen als Arrangeur u.a. für Frank Sinatra, aber auch für seine Big Band-Alben und für das mehrfach ausgezeichnete «An American Concerto».
Nebst dem Titelthema, das im Verlauf der Jahre mehrere Arrangements durchlief, komponierte Williams für THE STREETS OF SAN FRANCISCO den Score für den Pilotfilm. Standesgemäss also startet die CD mit dem unverkennbaren «First Season Main Title». Flotte Rhythmen, knisternde Blechbläser, «twangy» E-Gitarre, unverkennbar ein Kind seiner Zeit – und das ist nur im besten Sinne gemeint. Wo heute oft bedrückende Stimmung vorherrscht, so war es damals der 70’s-Jazzfunk, der Cops and Robbers begleitete. Gute, alte Zeiten eben. Nebst dem Piloten würde es sich Patrick Williams nicht nehmen lassen jede Season wenigstens eine Folge zu vertonen.
«The Streets of San Francisco Pilot» ist mit 21 Minuten Musik einer der längeren Scores, den wir auf diesem Doppel-Album zu hören bekommen. Die Titelmusik für den Piloten ist ebenfalls enthalten, aber weniger knackig ausgefallen als die Season 1 und 2 Titel. Desweiteren hat Williams ein sentimentales Motiv, welches u.a. von einem Synthesizer, vom Klavier und einer Querflöte gespielt wird, geschrieben. Das STREETS-Thema wird gleich einige Male angespielt («Motel Time», «Farr to Club»/Farr Out», «Boat Trouble»). Insbesondere wegen dieser variantenreichen Statements ist der Pilot musikalisch mit die spannendste Episode.
«The Thirty-Year Pin» beginnt mit einer kurzen, kräftigen Big Band-Fanfare und geht schnell in spannungsbetonte Musik von Blech, Harfe und Perkussion über. «Bad News» ist eine geniale Variante der Titelmusik. Überhaupt ist diese erste Episode von toller, knackiger Jazzactionmusik beeinflusst und hört sich richtig gut an. Wirklich toll ist der abschliessende Track «The Biggie/North Beach».
Die mit Edward Mulhare und Stefanie Powers besetzte Folge «Tower Beyond Tragedy» lässt ein semi-klassisches Motiv für Klavier erklingen («Amory/Windows Shopping»), das Williams in der Folge etwas aufweicht, auch in Suspensemomenten gebraucht und in Verbindung mit dem Verdächtigen einsetzt. Im Anschluss ist eine Schlusstitelvariation mit tollen Solos von Saxophon und Schlagzeug zu hören, die in der Serie nie verwendet wurde.
«In the Midst of Strangers» beginnt mit dem lebhaft, swingigen «Happy News» ehe bedrohliche Musik den Track mit «Goodbye Rhinelander» weiterführt. Sentimental geht es in «The Station/Come on Wally/No Tickets» weiter. Sein Intro münzt Williams in «Mr. Shoes/Good Try/Let’s Go» in Spannungsmusik um.
Mit Cembalo und Gitarre lässt Patrick Williams in «Bitter Wine» so etwas wie ein ethnisches Element zu, das aber mehr dramaturgische Funktion als Lokalkolorit einnimmt – die Episode handelt von einer griechisch stämmigen Familie.
In «Act of Duty» wird musikalisch wieder deutlich mehr aufs Gaspedal getreten, wenn auch eher hinsichtlich Bedrohlichkeit denn Action. Geschrieben für 22 Streicher plus Perkussion, Tasteninstrumente und Harfe entfaltet das fein eingesetzte Ensemble gleich zu Beginn in «Attack» ein Gefühl des Unbehagens. Musikalisch sicher eine anregend anders klingende Patrick Williams-Episode mit einem tollen Schlussstück «The Rescue/No Chance».
«Going Home» ist durchaus auch eine Episode mit anderen Vorzeichen, in der der Protagonist unwissentlich einen für die Mafia als Geldumschlagsplatz fungierenden Laden überfällt. Solche Episoden waren die Besonderheit von STREETS, einer Serie, die genügend Potential hatte um ohne ständige Schiessereien und Autoverfolgungsjagden auszukommen. Begonnen wird CD 2 zunächst aber mit einer weiteren, willkommenen Version der Titelmusik. Die gut gemachte Actionmusik wird mit Spannungsstücken erweitert, Soloinstrumente wie Querflöte, Piccolo (teils mit, teils ohne Echoplexeffekt), Trompete und Vibraphone dem Protagonisten und seinem Zufluchtsort, Alcatraz, zur Seite gestellt, während das Flügelhorn das wichtigste Motiv dieser Folge untermalt.
In der Episode «One Last Shot», gefolgt vom «Third Season Main Title», spielt kein geringerer als der spätere THE NAKED GUN-Star Leslie Nielsen einen alkoholabhängigen Polizisten. Fagott und Trompete (mit Flatterzungentechnik) eröffnen die Folge, während Querflöte, Oboe und Klarinette das Tun des Cops, der ungewollt seinen Partner umbringt und versucht die Tat jemand anderem unterzuschieben, beschreiben. Für seine Musik zu dieser Episode erhielt Williams seine erste Emmy-Nomination.
Nach dem «Fourth Season Main Title» folgt mit «The Glass Dart Board» eine hochspannende Episode über einen Amokläufer, der von einem Hochhaus mit seinem Zielfernrohr bestückten Gewehr wahllos Leute erschiesst. Tiefe Blechbläser, Holzbläser, aber auch eine Solo-Violine sind hier vertreten, während «The Drop» mit schnellen, rhythmischen Kadenzen der Streicher beginnt, ehe Williams alle erwähnten Mittel zusammenfasst, um die Dramatik zu steigern.
Mit dem «Fifth Season Main Title» beginnt nicht nur die letzte STREETS-Season, sondern auch der Zweiteiler «The Thrill Killers», in dem Abschied von Kirk Douglas genommen und Stones neuer Partner, gespielt von Richard Hatch, eingeführt wird. In dieser spannungsreichen, heftigen Folge wird eine Gruppe Geschworener entführt, um die Freilassung ihrer «Kameraden» zu erpressen. Williams setzt bewährte Mittel ein, die die vielzähligen Suspensemomente unterstreichen. Er tut dies mit einer umfassenden Orchesterbesetzung, in denen sich da und dort Einzelstimmen wie Bassklarinette, Flöten und Horn zu Wort melden.
Eine hörerfreundliche Länge besitzt die Folge «The Seduction Squad» aus A MAN CALLED SLOANE, eigentlich als erste Episode gedacht, wurde sie als Nummer zwei platziert. Mit A MAN CALLED SLOANE versuchte Quinn Martin in die damals populären Fussstapfen des James Bond-Agententums zu gelangen. Robert Conrad spielte den Geheimagenten Thomas Remington Sloane III, doch nach nur 12 Wochen wurde die Serie wieder abgesetzt. Zu schlecht waren die Einschaltquoten, zu negativ auch die Kritiken.
Patrick Williams schrieb die lebendig dynamische Titelmusik (elektrische Gitarre, Synthesizer, Flöten, «exotische» Perkussion), den Score zu der oben erwähnten Episode, in der natürlich auch der «Main Title» Einfluss haben sollte und einige Stücke, welche in zukünftigen Episoden Verwendung finden sollten.
Schaut man sich die Liste der Musiker im Booklet an, sind einige namhafte Jazzmusiker zu finden, die gerne und oft mit Patrick Williams zusammengearbeitet und sich freilich auch ausserhalb ihrer Arbeiten als Studiomusiker einen Namen gemacht haben: Der Saxofonist Tom Scott, der Trompeter Budy Childers, der Gitarrist Larry Carlton, Schlagzeuger wie Harvey Mason und John Guerin. Die Klangqualität ist fantastisch, das Booklet hätte gerne noch ein paar Seiten mehr umfassen dürfen. Mit diesem Release geht wahrhaftig sowas wie ein Bubentraum in Erfüllung, endlich kann ich der Musik einer meiner Lieblingsserien lauschen. Jetzt wäre es doch schön, würde es endlich auch mit COLUMBO klappen.
Phil, 25.10.2020
THE STREETS OF SAN FRANCISCO /
A MAN CALLED SLOANE
Patrick Williams
La-La Land Records
2 CD / 149:33 Min.
83 Tracks