The Last Valley

Review aus The Film Music Journal No. 28, 2002

Fast unermüdlich schickt das Silva-Label seine Lieblingsmannschaft vom City of Prague Philharmonic Orchestra ins Rennen, um kostengünstige Neueinspielungen berühmter klassischer Soundtracks entweder in Suitenform zur Mehrfachverwertung auf Dutzenden stets neu benannter Sampler oder gar als Gesamtaufnahmen vorzulegen. Leider entsprach die gebotene Qualität bisher meist nicht der produzierten Quantität, wovon eingefleischte Soundtrackfans, die die jeweiligen Originale bereits kennen, mit Sicherheit ein Lied singen können.

Die von Silva herausgebrachten Newman, Williams oder Herrmann-Sampler leiden allesamt unter einem zu emotions- und farblosen Spiel, so daß sich die CDs allerhöchstens für Filmmusik-Neueinsteiger eignen, die noch nicht mit anderen und besseren Interpretationen der einzelnen Scores Bekanntschaft geschlossen haben. Umso erstaunlicher wirkt es daher, wie hinreißend tempo- und energiegeladen die Prager unter dem Dirigat von Nic Raine bei der vorliegenden Neuaufnahme von John Barrys Meisterwerk THE LAST VALLEY (1970), die etwa 20 Minuten mehr an Musik enthält als die alte LP von 1970, ans Werk gehen.

Selten hat man das Orchester mit solcher Hingabe und so spielfreudig musizieren gehört, und auch die exzellente Aufnahmetechnik läßt wahrlich keine Wünsche offen. Erstaunlich etwa, wie plastisch dadurch gerade die aggressiven Bläser, Pauken und Snare Drums in den wuchtigen «Main Titles» ans Ohr dringen, voller Dramatik und Prägnanz, die fast sogar das Original übertrifft. Wer hätte vermutet, daß das City of Prague-Orchester zu solch berauschenden Großtaten fähig wäre? Barrys THE LAST VALLEY -Komposition ist eigentlich der Mittelteil seiner Historien-Trilogie, der außerdem noch THE LION IN WINTER (1968) und MARY, QUEEN OF SCOTS (1971) angehören – alle drei überdurchschnittliche Arbeiten aus dem Barry-Kanon, von denen ich zweifellos THE LAST VALLEY auf Grund des exquisiten melodischen Potentials und der beeindruckenden Chorpassagen den Vorzug geben würde. Insgesamt stand Barry eine außergewöhnlich lange Zeit (sechs Monate) zur Ausarbeitung der Partitur zur Vertilgung, was für deren Qualität wohl mit ausschlaggebend war.

Michael Caine als Söldnerführer und Omar Sharif als flüchtender Lehrer spielen die Hauptparts in dem während des Dreißigjährigen Krieges in Deutschland angesiedelten, etwas wirren und auch spannungsarm inszenierten Epos um ein idyllisches Tal und dessen Bewohner, die vor Plünderung und Brandschatzung bewahrt werden. Trotz großem Aufwand – THE LAST VALLEY war eine der alllerletzten 70mm Produktionen – geriet der merkwürdig stillose Film schon bei seinem Kinostart zum künstlerischen wie kommerziellen Debakel, verschwand danach jahrelang von der Bildfläche und gehört heute zum in regelmäßigen Abständen gezeigten Spielfilmfutter diverser TV-Kabelkanäle. Was den Film interessant macht, sind einzig und allein die recht schönen, malerischen Landschaftsaufnahmen und mehr noch Barrys Musik, die hier noch nicht einer sterilen Routine anheimgefallen ist, sondern durch vitale Energie und pulsierende Dynamik besticht.

Von zündendem Elan zeugt bereits der durch Pauken und Snare Drums im «Main Title» angeschlagene motorische Grundrhythmus, der das vom Chor (der Londoner Crouch End Festival Chorus) gesungene kraftvoll düstere Hauptthema begleitet. Im Mittelteil, wenn der Chor den Text eines Gedichts von Andreas Gryphius (‘Die Türme steh’n in GIut’) intoniert, fügen sich grelle Staccati der Trompeten, flirrendes Xylophon und umherirrende Streicher hinzu und vermitteln so auf brillante Weise das grausame Kriegsgeschehen in aller musikalischen Härte. Selten war Barry mitreißender, fesselnder und anspruchsvoller zu hören als in dieser Musik. Tragende Stütze des Scores bleibt der überaus dominant eingesetzte Männerchor, vor allem in den imposanten Orchesterattacken mit sonorem Blech («The Plague Pit», «The Villagers Fight for the Shrine»), während Barry ätherisch mystische Frauenstimmen im Kontrast dazu hauptsächlich bei den gefühlvollen und sensiblen Teilen der Partitur verwendet, so zum Beispiel im entzückt klingenden «The Shrine». Außerdem kommt der Frauenchor in einigen a cappella-Stücken wie «An Evening Star» oder «A Children’s Song» zum Tragen, die im archaisierenden Stilgewand der Epoche komponiert wurden.

Der beglückendste melodische Einfall -und vielleicht das genialste romantische Barry-Thema überhaupt – ist natürlich dem friedvollen Tal selbst zugeeignet und wird erstmals in Track 4 «Entry Into Last Valley» eingeführt. Ein schwärmerisches, sehnsuchtsvolles und bewegendes Thema voll tiefer Nostalgie, wie man wohl kaum ein zweites in Barrys Oeuvre finden wird. Allein SOMEWHERE IN TIME (1980) kommt nahe dran und hat eine beinahe ähnlich ergreifende Wirkung. Seine schönste Ausgestaltung erhält das LAST VALLEY-Thema in «Vogel’s Dream-The Last Valley», wenn sich die Streicher in feinsten Tönen schwelgerisch und leidenschaftlich aussingen dürfen. An solchen Stellen läuft Barry regelrecht zur Hochform auf. Aber auch sonst wird bei diesem Soundtrack, im Gegensatz zu vielen anderen eintönigeren Barry-Arbeiten, nicht mit lyrischen und einschmeichelnden Nebenthemen gegeizt, so daß das ganze Opus zum einen zwar sehr homogen wirkt, auf der anderen Seite aber ein sehr abwechslungsreiches und thematisch vielgestaltiges Gepräge erhält.

Allein zehn Tracks sind gegenüber der alten Platten-Veröffentlichung neu hinzugekommen, die uns ebenfalls ein edles Füllhorn lohnenden Musik-Materials präsentieren. Insofern liegt mit dieser auch hinsichtlich der Bookletgestaltung hervorragend aufgemachten CD eine tolle Bereicherung für die Sammlung vor, die man sogar hartnäckigsten Barry-Abstinenzlern richtig fest ans Herz drücken darf.

Stefan  |  2002

THE LAST VALLEY
John Barry
Silva Screen
56:51 | 21 Tracks