Masquerade (Quartet)

Es gibt einen John Barry vor den 80ern und einen John Barry nach den 80ern und es ist sicher nicht falsch zu behaupten, der 007 Komponist der (fast) ersten Stunde hätte mit und ab SOMEWHERE IN TIME kräftig am romantischen Zeiger gedreht. Natürlich verfügte Barry schon zuvor über diese Ader wie in Scores zu HANOVER STREET, THE BETSY aber auch RAISE THE TITANIC zu hören. Mit Ausnahmen wie JAGGED EDGE (ein hervorragender Thriller mit Glenn Close und Jeff Bridges), einer seiner düstersten Musiken in dieser Phase und ein später Ausflug ins elektronische Filmmusikfach, waren es vor allem Filme wie OUT OF AFRICA, BODY HEAT und natürlich DANCES WITH WOLVES, denen Barry seine unverkennbare, von Melodien getragene und Themen bezogene Stimme lieh und damit seiner Filmografie den Stempel aufdrückte. Er war zweifellos eine der grossen, unverkennbaren Stimmen der Filmmusik.

MASQUERADE ist ein Thriller von Bob Swaim (HALF MOON STREET) mit Rob Lowe und Jennifer Tilly, der von einer jungen Millionärs-Erbin (Tilly) handelt, die ihren Stiefvater nicht ausstehen kann und sich so in die Liebe mit Tim (Lowe), der sie umgarnt, stürzt. Ein Todesfall alarmiert den ortsansässigen Polizisten, einst der Jugendfreund von Olivia.
Als der Film in den Kinos weit unter den Erwartungen blieb, wurde auch die geplante Soundtrackveröffentlichung gestrichen. John Scott nahm damals für Varèse Sarabande ein Stück für deren kurze Serie jährlicher Filmmusik-Höhepunkte auf, doch mussten sich die Fans bis 2001 gedulden ehe Prometheus ein Album herausbrachte. Die Quartet Records Veröffentlichung präsentiert gegenüber der belgischen CD 3 Minuten mehr Score, der Unterschied ist also marginal, am augenfälligsten sicher beim deutlich gelungeneren Cover. Ausserdem hatten die Macher Zugang zu den Originaltapes, an die Mike Mattesino Hand anlegte. Die 1000 Stück dürften trotz der Popularität des Komponisten wohl nicht so schnell weg sein, diejenige von Prometheus ist nach wie vor erhältlich – und die war bereits auf 3000 Stück limitiert.

Das Hauptthema zum Film ist wie üblich bei John Barry omnipräsent und sogleich in „Main Title“, für sich alleine in „Compulsive Promptness“ im kurzen, aber wunderbaren Harfenstück „Masquerade“ und einigen weiteren Stücken der ersten CD-Hälfte zu hören. Gespielt wird es unter anderem von der Querflöte, einem bevorzugten Instrument des Komponisten (er selber war allerdings leidenschaftlicher Trompetenspieler,) von den Streichern oder vom Klavier. Ihm zur Seite stellt Barry ein zweites grosses und prägnantes Motiv, das er gerne in den Segelsequenzen verwendet (ein Motiv übrigens, das mich immer etwas an Klaus Doldingers Thema aus DIE UNENDLICHE GESCHICHTE erinnert) und mit dem Hauptthema verbindet.

Düstere Stücke wie „Masks“, „Virgin Sacrifice“ und „The Fight-Tony Dies/Call the Police“ sind ebenfalls „typisch Barry“. Meist sind es getragene, langsame Suspensestücke mit dem unvergleichlichen Barry-Touch, den er in den 007 Filmen etablierte: Spannungsmusik, die nicht auf Schnitte und Action ausgelegt sind, sondern stets mit ihrer Stimmung und oft in Moll gehalten für Bedrückung und (gediegenen) Thrill sorgen. Oft verwendet Barry dabei etwas Perkussion, seien es Kesselpauken oder Schlagstabsspiele wie Marimbafon, auch verwendet er in MASQUERADE in einigen wenigen Tracks einen Chor, wie er es, so es das Budget erlaubte, öfters getan hat, lässt das Thema (ebenfalls in Moll) variieren oder verwendet nur Teile daraus. Mit dem Verlauf des Films bestimmen die Spannung und somit diese Stücke den Grossteil der Musik, immer mehr verdichtet sich der Lauf der Story, die Hinweise auf den Fiesling des Films und die schwierige Situation in der sich Olivia befindet. Im letzten Drittel sind vermehrt Blechbläser zu hören, die zu Beginn des Scores selten und nur durch die Hörner präsent waren. Das sind recht feine und doch genügend eingreifende Massnahmen, mit denen Barry an der Dramatik schraubt und eine romantische erste Hälfte in eine immer gehetztere, bedrückendere Stimmung wendet. Nach den 21 Filmmusikstücken taucht ein kurzes „Alternate“ auf, gefolgt von den Sourcetracks, die die Prometheus-CD bereits enthielt – hier kann sich Barry ein wenig seiner Jazzwurzeln besinnen.

Alles klar? Oder soll heissen: Wer die Prometheus nicht besitzt, besseren Klang und eine wesentlich gediegenere Aufmachung bevorzugt, der liegt mit der Quartet Records Scheibe 100% richtig. Ausserdem ist MASQUERADE ein toller Score, wie gemacht für Fans guter, alter, melodischer und sinfonischer Filmmusik.

MASQUERADE wäre beinahe Barrys letzter Score gewesen. Er erkrankte während der Arbeit zu MILES FROM HOME schwer und schaute, nach eigenen Worten, dem Tod bereits ins Antlitz. Wie wir wissen erholte er sich wieder und blieb der Filmmusik bis 2001 und seiner letzten Komposition zu ENIGMA erhalten. 2011 verstarb John Barry im Alter von 77 Jahren.

Phil

MASQUERADE

John Barry

Quartet Records

60 Min.
29 Tracks

Limitiert auf 1000 Stück