Der durch seine spektakulären Expeditionen in unerforschte Regionen der Erde berühmt gewordene Abenteurer, Schriftsteller und Regisseur Nicolas Vanier hat mit Loup nach dem 2004 entstandenen Le dernier trappeur einen weiteren halbdokumentarischen Naturfilm auf der Grundlage seiner eigenen literarischen Vorlage inszeniert: Angesiedelt unter Nomaden in Sibirien wird die Initiationsgeschichte eines 16-jährigen Nomadenjungen erzählt:
Sergej soll einer der Bewacher der größten Rentierherde des Clans werden, der die Herde von Jahreszeit zu Jahreszeit zu anderen Futterplätzen führt und sie dabei vor gefährlichen Wölfen schützt. Als er eines Tages dem titelgebenden Wolf begegnet und sich mit ihm auf ungewöhnliche Art anfreundet, gerät er dadurch in einen ernsthaften Konflikt mit dem Stamm.
Wie schon bei Le dernier trappeur konnte Vanier für die Musik von Loup wiederum Krishna Levy gewinnen, der für dieses Naturdrama einen melodisch höchst betörenden und beseelten Score abgeliefert hat, der in meinen Augen vom FMJ-Team vor kurzem auch wohlverdient zum Score of the Year 2009 gewählt wurde. Leider fristet der ursprünglich aus Indien stammende französische Komponist unter den heutigen Filmmusiksammlern, deren Blick sich nach wie vor fast ausschließlich auf die USA richtet, eher ein Schattendasein, da er innnerhalb der letzten paar Jahre auch kaum an kommerzeill erfolgreicheren Filmen mitgearbeitet hat, die über ihr Ursprungsland Frankreich hinaus bekannt geworden wären. Dabei hat er wie wenige andere Filmkomponisten heutzutage die Gabe, derart innige und elegante Themen aufs Papier zu bringen, die romantisch veranlagte Hörer regelrecht zum Dahinschmachten bringen können.
Besonders schön weiß Levy immer wieder die Streichersektion zu handhaben, die er in schwärmerischen und sensuchtsvollen Melodiewendungen zum Erklingen bringt. Diese ihm eigene Stilistik, die seinen Musiken eine ganz besondere Wärme verleiht, war bereits in seinem im Sommer 2009 erschienenen subtilen Score zum Melodram Je l’aimais zu bewundern, und in seiner neuen Arbeit Loup verhält sich dies nicht viel anders. Während andere zeitgenössische Filmkomponisten bei in exotischen Ländern angesiedelten Stoffen gleich mit der Tür ins Haus fallen und Alles mit dumpfem Getröte oder jaulendem Frauengejammer zukleistern, weiß Levy bei seiner Tonschöpfung um die geschickte Ausbalancierung von westlicher Sinfonik und fernöstlichem Kolorit, wobei letzteres differenziert und vor allem dezent eingesetzt wird.
Nur rund drei bis vier kurze einminütige Tracks bringen rein ethnische Klänge vor allem in Form eines elektrisch verstärkten Cellos zu Gehör und versinnbildlichen damit stimmig das karge Leben der Nomaden und den wölfischen Urinstinkt, während fast alle anderen Stücke von elegischem Streicherklang durchdrungen sind, der zum Teil durch das solistisch eingesetzte und verzerrte Cello aufgerauht wird und dadurch eine besonders faszinierende Klangfarbe erhält. Die feine Vermischung der beiden Klangebenen erinnert in einem Track wie Le nouveau territoire dabei durchaus etwas an die Jazz/Sinfonik-Fusion bei so manchen früheren Philippe Sarde-Musiken
Die Basis von Levys Partitur bildet ein emotional starkes, weit ausladendes Hauptthema für volles Orchester, das im Main Title (Les hauts alpages) vom Schlagwerk untermauert erklingt und die unermeßliche Weite dieser schneebedeckten sibirischen Gebirgswelt als musikalisch beeindruckendes Natur- und Stimmungsbild vor dem geistigen Auge erstehen läßt. Levy gewinnt diesem Thema wunderbare Varianten und immer wieder neue Nuancen ab wie etwa in dem sich äußerst romantisch gebenden Track La grande harde, wo neben den warmherzigen Streichern ein Frauenchor und solistisch auftretendes Cello die Hauptrolle spielen, oder im feinfühligen und intimen La rencontre.
Die aparte Instrumentierung in ihrer typisch französischen Transparenz, die Delikatesse der Melodieführung auch in weiteren ebenfalls bezaubernden Nebenthemen und die gekonnt ausgeführte verhaltene Dramatik ergeben ein sinnliches und wohltuendes Hörerlebnis, das gegen Ende sogar noch an Intensität gesteigert wird. Einfach herrlich in dieser Hinsicht das tief berühredne, lyrisch-pastorale Stück Aurore boréale, in dem sich wiederum das wehmütige Cello vor die weichen Streicher und einen mystischen Chor schiebt. Musik voll großartiger Noblesse wie man sie wohl derart ergreifend in kaum einem anderen Score des letzten Jahres vernommen hat.
Den einzigen musikalischen Ausreißer auf der CD stellt die Wolfsattacke L’attaque des loups in Track 18 dar, der mit seiner monotonen Percussion-Rhythmik den Hörfluß stört. Es wäre eventuell besser gewesen, diesen stilistisch unpassenden und wohl eher rein filmdienlichen Track zu streichen. Aber für den ganzen Rest gilt: Mit Hingabe komponierte, an melodischen Einfällen reiche und geschmeidig dahinfießende Filmmusik, die zu Herzen geht und somit eine große Ausnahme im Soundtrack-Allerlei des vergangenen Jahres 2009 darstellt.
Noch ein kurzer Hinweis zum Schluß: In deutschen Kinos wird Loupgleich gar nicht zum Einsatz kommen, dagegen wird der Film hierzulande bereits im Mai unter dem deutschen Titel Der Junge und der Wolf auf DVD und Blu-Ray ausgewertet.
LOUP wurde 2009 von der filmmusicjournal Jury zum «Score of the Year SCOTY» gewählt.
LOUP Krishna Levy Jade 699 694-2 41:43 Min. / 25 Tracks
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