
NOSFERATU
Robin Carolan | Sacred Bones Records
Carolans Musik zu Robert Egers Vampirepos ist ein grossartiger Gruselscore, Genremusik vom Feinsten und dank des Doppel-Albums von Sacred Bones Records für den Filmmusikfan in seiner Gänze geniessbar, obwohl die 97 Minuten und zwei CDs fast zu viel des Guten sind. NOSFERATU (2024) ist intensiv, manchmal harsch, selten melancholisch, wer melodische Anhaltspunkte favorisiert, der dürfte mit Carolans Musik Mühe haben. Geschrieben für Chor und grosses Orchester mit einer üppigen Streichersektion, gibt es zwar kleinere «thematische» Momente, doch sind diese, mit Ausnahme des Lullaby-Themas (im ersten Track zu hören) nicht einfach auszumachen oder zu verfolgen. Im Film wirkt die Musik bestechend und Robin (THE NORTHMAN, 2022) Carolans Score ist ohne Umschweife einer der besten Horrorscores des vergangenen Jahres – hat man ein Faible für orchestrale Musik zum wohligen Gruseln, dann passt NOSFERATU bestens ins persönliche Hörgefüge. In diesem Sinne: Sehr empfohlen!
| Phil
CAPE FEAR
Bernard Herrmann, Elmer Bernstein | Quartet Records
Für Martin Scoreses kongeniale 1991er-Neuverfilmung von CAPE FEAR (eine Rezi von Manfred ist hier zu finden) hatte Scorsese vor Bernard Herrmanns Score zum Original als musikalische Grundlage zu nehmen. Elmer Bernstein, der im selben Jahr die Musik zu THE GRIFTERS schrieb, kontaktierte Scorsese (der THE GRIFTERS produzierte), um an CAPE FEAR zu arbeiten und stimmte zu Herrmanns Musik zu adaptieren. Nicht nur das, auch Herrmanns nicht verwendete Musik der ausführlichen Mordszene in TORN CURTAIN (1966) fand Verwendung im Finale des Films – unter anderem diese führte zur Trennung von Hitch mit seinem Stammkomponisten und die Szene blieb in TORN CURTAIN ohne Musik.
Die ursprüngliche CD enthielt 43 Minuten Musik, die neue Scorepräsentation auf CD 1 der Quartet-Ausgabe 57 Minuten plus fünf Minuten unter «Additional Music». CD 2 enthält das bekannte Soundtrackalbum neu gemastered. Tolle Veröffentlichung, nicht nur für, aber auch für Herrmann-Fans und schlussendlich Bernstein-Anhänger, der viel zusätzliche Musik beigetragen hat, ist doch nur ein kleiner Teil von Bernard Herrmanns Ur-CAPE FEAR entnommen. | Phil
GOLD OF THE AMAZON WOMEN
Gil Mellé | Dragon’s Domain
Irgend so ’n vergessener Trash-TV-Abenteuerfilm von 1979, wo es um die Suche nach El Dorado gehen soll, und in den sich Persönlichkeiten wie Donald Pleasence und Anita Ekberg verirrt haben. Musikalische Perlen vor die Säue geworfen hat man also den Verdacht angesichts der Musik von Gil Mellé, der andere Wege einschlägt ,als sich handelsüblichen Abenteuerklängen à la Korngold zu verschreiben.
Mellés Herz schlug unter anderem für den Jazz, was er zum Teil recht progressiv unter Beweis stellt. Auch im Orchestralen schaut er nicht rückwärts; hier sind besonders die Streicher voll im Einsatz, während für das Folkloristische Perkussion und Flöten sowie entspannte, den Geist der 1970er-Jahre verströmende Bossa-Nova-Klänge zuständig sind. Pointierte Elektronik macht sich da und dort bemerkbar. Des weiteren zeichnen kleine Besonderheiten wie nachahmende Helikopter-Geräusche in «Helicopter Attack» und der lockere «March of the Amazons» diesen Score aus. Es gibt kaum griffige, leitmotivische Themen zu erwähnen, aber das Dargebotene bleibt dank netten Spielereien etwa mit verschiedenen Bass-Instrumenten und einer ganz eigenen Atmosphäre trotzdem stets gehaltvoll.
Fazit: wir brauchen mehr Mellé, und das scheint auch Dragon’s Domain so zu sehen. Nebst vorliegendem Album sind beim Label jüngst auch THE GIL MELLÉ COLLECTION: VOLUME 1 und STARSHIP INVASIONS (1977) erschienen (siehe Kurzrezi weiter unten). Je auf 500 Stück limitiert, aber auch digital erhältlich. | Andi
LES ANIMAUX
Maurice Jarre | Music Box Records
Aus dem ersten Vierteil der filmmusikalischen Schaffenszeit Jarres stammend, ist LES ANIMAUX (1963), eine Musik zu einem Tierdokumentarfilm für das französische Fernsehen. Sein Score bewegt sich teils am Rande der Atonalität mit einem etwas losen Titelthema im Walzertakt beginnend – nach einer heftigen Timpanieröffnung (offener in «Pavane des flamants roses»). Zu hören sind u.a. Instrumente wie die Hammondorgel, Glocken, Celesta, auch E-Bass, Klavier und das Ondes Martenot sowie ein Cembalo, aber auch traditonellere Instrumente wie Harfe, Hörner und Streicher («Danse macabre») sowie Perkussion. Dies zeigt denn auch: LES ANIMAUX bewegt sich weit von einem traditionellen Tierdokuscore und setzt mehr auf besondere Klangkombinationen mit sprunghaften Harmonien und unerwarteten Instrumenten.
LES ANIMAUX geht eher in Richtung LA TÊTE CONTRE LES MURS (1958) als in ausschweifende und breitgefasste Melodien à la LAWRENCE OF ARABIA – Fans dieser Jarre-Periode dürften ob des eigenwilligen LES ANIMAUX erfreut sein. | Phil
THE LADY AND THE HIGHWAYMAN
Laurie Johnson | Dragon’s Domain
Laurie Johnson verbindet wohl manch ein Filmmusikfan zuerst mit FIRST MEN IN THE MOON und DR. STRANGELOVE OR HOW I LEARNED TO STOP WORRYING AND LOVE THE BOMB (1964), sicher aber mit dem TV-Thema (ab 1965) von THE AVENGERS (bei uns mit MIT SCHIRM, CHARME UND MELONE wieder einmal völlig absurd betitelt) und dem fetzigen Titelthema für THE PROFESSIONALS (1977 – 1983), beide betreute Johnson mit unzähligen Episodenmusiken.
Aus 1988, bereits spät in Johnsons Filmmusikphase, stammt sein Score zu THE LADY & THE HIGHWAYMAN – ein mit Oliver Reed, Claire Bloom, Michael York, Ian Bannen, Hugh Grant, John Mills und Gordon Jackson prominent besetzter Mantel-und-Degen-Fernsehfilm von John Hough (ESCAPE TO WITCH MOUNTAIN, 1975). 47 Minuten Score sind enthalten, die Tonqualität ist annehmbar-so lala. Johnsons Komposition «swasbuckelt» zwar, zeigt leitmotivische Qualitäten, bleibt aber insgesamt ein bisschen dünn und scheinbar von einem kleineren Ensemble gespielt. Neben einem in der Titelmusik zu hörenden Hauptthema ist es das Liebesthema, das Johnson mehrfach erklingen lässt. Schön, dass man diese unbekannte Musik eines Komponisten, der nicht allzu prominent in den Regalen der Sammler zu finden ist, den Fans präsentiert. | Phil
FLIGHT RISK
Antonio Pinto | Lakeshore Records
Viel eingefallen ist dem Brasilianer Antonio Pinto (CENTRAL STATION, THE MOSQUITO COAST (TV)) nicht, um Mark Wahlbergs neuestes Machwerk zu vertonen. Die Musik gestaltet sich genauso langweilig, wie der vorhersagbare Film. Zwei kleine Highlights sind die Schlagwerk-Attacken gegen Ende von «Approach» und der Actioner «The Knife». Ansonsten gehört der Score höchstens in den Aufzug oder dient als Einschlafhilfe. Film und Musik darf man ignorieren. Sorry, mehr fällt mir dazu nicht ein. | Oliver
STARSHIP INVASION
Gil Mellé | Dragon Domain’s Records
Das amerikanische Label veröffentlicht mit STARSHIP INVASIONS (1977) einen weiteren Score von Gil Mellé. Der kanadische Film mit Robert Vaughan und dem bedauernswerten Christoper Lee als Führer einer invasiven Ausserirdischenspezies mit Plan die Welt zu erobern, wirkte sicher schon 1977 völlig veraltet, ist im selben Jahr doch George Lucas’ STAR WARS entstanden. Mellés Score ist durchaus speziell mit seiner Mischung aus orchestralen (Streicher, Holzbläser, Blech) aber auch coolen Jazz-Elementen (Hammond-Orgel, Bass, Drums) sowie elektronischer Musik. Das macht STARSHIP INVASIONS besonders, erfrischend und passt irgendwie in die Zeit, in der die Musik entstanden ist – stellenweise fühlt man sich an einen 70er Copthriller erinnert. Dragon Domain’s präsentiert etwas mehr als 58 Minuten Score, leider ist die Klangqualität nicht wirklich gut und wird der Komposition Mellés nicht gerecht, schade. Das Booklet ist wie immer beim Label knapp bemessen. (für die Musik) | Phil
LITTLE SIBERIA
Panu Aaltio | Netflix
Bei Dome Karukoskis Comedydrama Netflix-Serie LITTLE SIBERIA (2025) arbeitete Panu Aaltio, der in seinen Kompositionen zu Naturfilmen richtig aufzugehen scheint, zum zweiten Mal nach THE HOME OF THE BUTTERFLIES (2008, Tummien perhosten koti) zusammen. Teilweise experimentell und eigentlich nicht nach einem Aaltio klingend, abseits bekannter Konventionen kommt LITTLE SIBERIA daher. So nahm der Finne die Stimme seiner Tochter auf, die er in einen synthetischen Klang umwandelte, ausserdem ist ebenfalls eine weibliche Stimme hörbar. Enthalten sind ebenfalls verschiedene, gamelanische Metallophone sowie typisch finnische und schwedische Streichinstrumente. Doch klingt LITTLE SIBERIA nicht etwa wie ein finnischer Folkscore – oder Aaltio und seine Musiker wissen es gut zu kaschieren und nur da und dort kurz durchschimmern zu lassen.
Eine besondere und überraschende Musik von Panu Aaltio, anders als seine bekannten Werke wie TALE OF A LAKE und TALE OF A FOREST – Fans dieser Scores dürften ob LITTLE SIBERIA überrascht sein. | Phil
L’ÉTÉ MEURTRIER / LA REINE BLANCHE
Georges Delerue | Music Box Records
Dieser erfreuliche Doppel-Delerue präsentiert Musik zu Filmen, in denen Frauen mit belastender Vergangenheit im Mittelpunkt stehen. Einerseits Isabelle Adjani als freizügige, auf Rache sinnende Femme Fatale, anderseits Catherine Deneuve in einem nach vielen Jahren wieder aufflammenden Liebesdreieck.
In L’ÉTÉ MEURTRIER hören wir das verführerische Saxophon-Thema für Elle (Adjani), düstere, leidende und verstörende Streicher, die auch von Holzbläsern vertreten werden, ein mechanisches Klavier mit Symbolcharakter, folkloristische Akkordeon-Einlagen und ein kindliches Musikdosen-Thema mit Glockenspiel, das aber eher mulmige Gefühle auslöst, da es mit ein Schlüssel für Elles offenbare Unberechenbarkeit ist.
Ein vielleicht eine ähnliche Funktion erfüllendes Glockenspiel ist auch in LA REINE BLANCHE vorhanden, erinnert hier aber an ein Karussell. Das zum Dahinschmelzen schöne, volkstümliche Hauptthema mit leichtem Shanty-Charakter enthält ein Akkordeon, das des weiteren einigen sensiblen Momenten sowie der ein oder anderen der vorhandenen Tanz-Nummern seinen Stempel aufdrückt. Die mal hoffnungsvolle, mal romantische, mal an Verzweiflung grenzende Dramatik lastet auch hier auf den Schultern der Streicher und Holzbläser.
Eine sehr willkommene, auf 750 Stück limitierte CD, die einmal mehr bewusst macht, wie feinfühlig Delerue (der heuer 100 Jahre alt geworden wäre) es verstand, die Essenz von Filmen und ihrer Figuren in Musik zu fassen. | Andi
RAIN MAN
Hans Zimmer | La-La Land Records
Ein Oscar®gekrönter Film, den einst Martin Brest, Steven Spielberg und Sydney Pollack inszenieren wollten, landete schliesslich bei Barry Levinson und wurde zu einem Hit. Unter anderem für den Film, die Regie und Dustin Hofmann setzte es eines der begehrten Goldmännchen ab.
Die Geschichte wie Hans Zimmer zu seiner ersten amerikanischen Produktion kam, ist bekannt: Levinsons Ehefrau hörte A WORLD APART (1988) und machte ihren Mann darauf aufmerksam. Was danach folgte, ist Geschichte… Hans Zimmer erhielt für seine Filmmusik eine Academy Award® Nomination und startete eine Karriere in Hollywood, die bis heute andauert.
Levinson wollte keine typische Roadmovie Musik und Zimmer lieferte einen hauptsächlich elektronischen Score, dann und wann ein wenig nach Vangelis und Horner klingend, prominent mit perkussiven Elementen und, eher versteckt, E-Gitarre ausgestattet: «Drive to Bank and Wallbrook» und das bekannte Hauptthema in «Leaving Wallbrook» oder «Traffic Accident and Aftermath» mit den synthetischen Flöten und E-Drums sowie das ätherische, asiatische Motiv in «Putting Ray to Bed – On the Road» bilden das Hauptgerüst.
Die 1989 veröffentlichte LP/CD erhielt nebst acht Songs nur zwei Tracks von Hans Zimmer mit rund 11 Minuten Score. Die im Februar herausgebrachte La-La Land CD nun präsentiert 32 Minuten, dazu vier Bonus Tracks und die beiden auf dem alten Album enthaltenen Stücke Zimmers.| Phil
16.04.2025