Hider in the House

Der auf das Schlimmste in seiner Kindheit misshandelte Tom Sykes wird in einer Klapsmühle verwahrt, kann aber als inzwischen Erwachsener von dort entkommen. Er nistet sich im Dachboden eines leerstehenden Einfamilienhauses ein, bis die junge Familie Dreyer das Haus kauft und es bezieht. Ohne, dass die Dreyers es wissen, haben sie jetzt im Spitzboden einen ungebetenen Gast. Sykes ist zwar prinzipiell harmlos, allerdings verliebt er sich in Julie Dreyer, die dadurch zu seinem narzisstischen Objekt wird.
Der Reiz von HIDER IN TH HOUSE (1989) ist sicher, einem verstörten Menschen beim Agieren in die Karten zu schauen. Fesselnd ist natürlich auch, dass man als Zuschauer ständig neu entscheiden muss, ob man nun für Sykes Mitgefühl oder Verachtung übrig haben soll. Eine knifflige Situation. Erleichterung macht sich erst breit, wenn der Nachspann über den Schirm rollt und man sich als Zuschauer vom Film frei gemacht hat.

Die Musik zum Psychothriller hat der damals einunddreißigjährige Christopher Young komponiert. Der echte Durchbruch brachte ihm zwar erst die sinnliche Krimimusik zu JENNIFER 8 (1992), aber auch schon vorher hat Young kreativ und pfiffig gearbeitet. So konnte er mit seinen Scores zu HELLRAISER (1987) und HELLBOUND: HELLRAISER II auf sich aufmerksam machen und auch BAT*21 (1988) sowie der bizarre THE VAGRANT (1992) sind einfallsreiche Arbeiten.

Die vorliegende Suspense-Musik trägt schon die typische youngsche Handschrift, und ist so herrlich frei von Hollywoods Suspense-Klischees. Natürlich: Die musikalische Hauptrolle spielt Sykes. So eröffnet die Partitur mit “Hider”. Der Versteckte wird hier in einer gut achtzehnminütigen Suite, die vornehmlich als Elegie auskomponiert wurde, charakterisiert. Schwermut und tiefe Traurigkeit, das Warten (Zeitmotiv ab 9:39), und grüblerische Anspannung setzt Young um, indem er, wie es seiner Art entspricht, Holzbläser, Streicher, gestreute Klavierakkorde, Glöckchen und Synthi-Effekte erzählerisch miteinander verbindet.  Der weibliche Chorgesang, der nach weit entfernten und ungreifbaren Engeln klingt, steht für die begehrte Protagonistin. Sie ist zwar das Spiegelbild, aber sie ist für Sykes auch absolut unerreichbar!  Es wäre für ihn die Erlösung (und dies ist durchaus auch religiös zu verstehen), könnte er sich wenigstens psychisch in Julie verwandeln. In die lebendige, unbefangene, “freie” und glückliche Frau und Mutter. Die bösartige Identifikation steht hier für den Wunsch, jemand anderes sein zu wollen. Die Zuneigung des Kranken ist keine Liebe, es ist eben dieser Narzissmus und das Bedürfnis danach, geliebt zu werden (“Liebe mich, dann liebe ich dich”).

Nach diesem düsteren, herb-melancholischen Einstieg in die Musik, ist der darauf folgende Cue “A Place Like Home” aufhellender. Er begleitet die neuen Bewohner bei der Besichtigung des Hauses und dem folgenden Umzug. «Reversing Colors» (Track 5) antizipiert dank Synclavier-Effekten schon entfernt etwas Melodik aus JENNIFER 8. Das wichtigste Thema ist ein Vier-Noten Motiv, das auf einem arpeggierten G-Moll mit variierenden Erweiterungen beruht. Eingängigkeit fehlt allerdings, und wäre bei einem solchen Filmstoff auch fehl am Platze, Romantik ist eindeutig nicht angezeigt.

So geht die Musik zu HIDER IN THE HOUSE in weiten Teilen eher in Richtung deftiger Klangcollage, als die einer eigenständigen Musik. Für Thriller- und Horrorfans eine gelungene Arbeit, die manch einer auch ohne Kenntnis des Filmes zu genießen vermag. Besonders interessant wird es natürlich nach der Sichtung des Filmes. Es ist erstaunlich wie Young feinste emotionale Schattierungen musikalisch zum Ausdruck bringt. Ein faszinierender Film mit Musik, die zum genauen Hinhören einlädt. Vier Scheiben wegen emotionaler Präzision.

2018 wurde die CD von Intrada erneut und remastered aufgelegt!

Oliver 14.9.2020

 

HIDER IN THE HOUSE

Christopher Young

Intrada

40:07 Min.
6 Tracks