Fernando Velázquez: Eine Filmmusik-Reihe (Teil 3)

von Klaus Post

Wie bereits im zweiten Teil der Reihe angekündigt, soll nun im dritten Teil der Beweis angetreten werden, dass auch eine Komödienmusik von Fernando Velázquez richtig gut sein kann. Außerdem soll ein Hollywood-Ausflug des Komponisten vorgestellt werden, der zeigt, dass solch ein Ausflug durchaus gelingen kann, wenn man Velázquez einfach mal machen lässt. Aber auch Kurzweiliges hat der Meister in petto, wie man an OCHO APELLIDOS VASCOS erkennt. Die bereits in Teil 2 angedeutete Vielschichtigkeit seiner Arbeiten für spanische Thriller heben wir uns dagegen für den vierten Teil der Reihe auf. Da dann aber in aller angemessenen Ausführlichkeit. Doch nun zu vier Scores, die unterschiedlicher kaum sein könnten…

LAS LEYES DE LA TERMODINÁMICA
Fernando Velázquez
Quartet Records
43 Minuten
22 Tracks

Die spanische Netflix-Produktion LAS LEYES DE LA TERMODINÁMICA handelt von einem jungen Astrophysiker, der der Überzeugung ist, dass sich die grundlegenden physikalischen Wirkprinzipien auch auf das Zwischenmenschliche anwenden lassen. So zumindest versucht er, in seiner verkorksten Beziehung mit einem Model weiterzukommen. Das Ergebnis ist eine sehr intelligente, sehr witzige und erfreulich klischeearme Komödie. Diese Vorlage nimmt Velázquez dankend auf und münzt sie in eine besondere Musik um: einen vollorchestralen Score, voller Witz, Pointiertheit, Esprit und viel Gefühl. Vor allem aber tritt Velázquez damit den Beweis an, dass Komödienmusik durchaus Substanz haben kann und nicht bloß Geplänkel sein muss.
Der durchweg sehr melodische Score baut oft auf seinem wandelbaren und entsprechend variantenreich eingesetzten Hauptthema auf, das in seiner üppigsten Form im Track „Forzando la Realidad“ leidenschaftlich und mitreißend anzuhören ist, sich im Crescendo steigert nur um dann auflösungslos mit einem einzelnen tiefen Klavierton die kalte Dusche zu bringen.
Eher untypisch für Velázquez, dass er nicht nur hier sondern auch noch bei dem einen oder anderen Crescendo auf die Auflösung verzichtet und damit den Hörer kalt stehen lässt. Aber natürlich setzt er das gezielt ein, denn es spiegelt hervorragend die Konsterniertheit wider, in der sich die Hauptfiguren das eine oder andere Mal wiederfinden und die ihnen beileibe nicht zur Freude gereicht.
Zusammen mit den sensiblen Momenten einerseits und den schwungvolleren bzw. dramatischeren Passagen andererseits ergibt sich so ein abwechslungsreicher Score, der trotzdem keinerlei inneren Zusammenhalt vermissen lässt.
Fazit: bestes Komödienscoring! Eine Musik wie ein guter Spätburgunder, gehaltvoll, strukturiert und trotzdem süffig. Das Tüpfelchen auf dem i ist, dass Velázquez alle Tracks in Anlehnung an physikalische Naturgesetze benennt.


CRIMSON PEAK
Fernando Velázquez
Quartet Records
75 Minuten
36 Tracks

CRIMSON PEAK ist einer der seltenen und gleichzeitig gelungenen Ausflüge von Velázquez nach Hollywood. Unter der Regie von Guillermo del Toro entstand eine opulente Gothic-Grusel-Romanze, an der sich Velázquez prima austoben konnte und anscheinend auch durfte.
Eröffnet wird der Score vom berauschend melancholischen Hauptthema, das sich vom Solo Cello über die tieferen Streicher bis zu den hohen Violinen durchs Orchester ausbreitet und eine düster romantische Grundstimmung vorlegt.
Und nur 2 Tracks weiter in „Buffalo“ wandelt sich eben dieses Thema weit genug, um geschäftiges Stadttreiben zu untermalen.
Über weite Strecken behält der Score seine üppig orchestrierte Melodik bei, die immer wieder mal das Hauptthema zitiert. Ausnahmen bilden dabei allerdings die Geistererscheinungen. Schlüsselmomente, in denen der Score kurzzeitig und kunstvoll arrangiert ins Dissonante überschlägt. Und je mehr sich die Geschichte ihrem dramatischen Höhepunkt nähert, desto düsterer werden die Orchesterfarben. Bis im ausführlichen Showdown („I Know Who You Are“ und „Lucille & Showdown“) Suspense und zum Teil harsche Dramatik Überhand nehmen. Die musikalische Erlösung folgt im melodramatischen „Finale“ und den „End Credits“, die beide nochmal genüsslich das Thema ausbreiten dürfen.
Insgesamt gelingt es Velázquez, eine dichte und intensive Atmosphäre aus Melancholie, Melodrama, Suspense und gepflegtem Grusel aufzubauen, die zwar die ganze Tragik der Geschichte zu vermitteln vermag, der allerdings ein Hauch mehr Abwechslung vielleicht zur Höchstwertung verholfen hätte. Wenngleich es immer wieder erstaunlich ist, wieviel Wandlungsfähigkeit Velázquez’ Themen besitzen.


OCHO APELLIDOS VASCOS
Fernando Velázquez
Quartet Records
34 Minuten
21 Tracks

Zur seinerzeit sehr erfolgreichen spanischen Komödie OCHO APELLIDOS VASCOS (SPANISH AFFAIR) hat Velázquez eine leichtfüßig spritzige Musik beigesteuert, bei der die Gitarre im Vordergrund steht. Begleitet wird sie von einem kleinen Ensemble. Je nach Stimmungslage besteht dies aus unterschiedlichster Percussion, wie z.B. Schlagzeug mit Jazz-Besen, Vibraphon und der obligatorischen Kastagnietten, sowie Bass und gelegentlich Streichern, was ein sehr originelles Arrangement ergibt. Oder aber es besteht aus Piano und Streichern.
Fast immer, wenn Velázquez das sympathisch flotte Hautthema einsetzt, legt die Musik ein enormes Tempo vor. Für Ausgleich und Beruhigung sorgen die von den Streichern getragenen Passagen. Die einzig ruhige Variante des Hauptthemas ist im letzten Track des Scores „Un Par De Detaillitos“ zu hören. So ruhig, dass sie direkt sentimental klingt, ohne dabei kitschig zu werden.
Unterm Strich ist Velázquez hier eine sehr unterhaltsame und kurzweilige Musik gelungen, die in starkem Kontrast zu seinen ernsten Werken steht.


MARROWBONE
Fernando Velázquez
Quartet Records
76 Minuten
32 Tracks

MARROWBONE erzählt die schlussendlich tragische Geschichte dreier Geschwister, die den Tod ihrer alleinerziehenden Mutter verheimlichen, um beisammen bleiben zu können und gleichzeitig mit seltsamen Geschehnissen im Dachgeschoss ihres Hauses zurecht kommen müssen.
Auch wenn spannungsbedingt alles getan wird, um das Dachgeschoss möglichst gruselig darzustellen, ist MARROWBONE kein klassischer Gruselfilm. Statt vordergründiger Effekte erzählen der Film und der Score gleichermaßen einfühlsam die Geschichte der drei, bei der es zunächst vielmehr um sie selber geht, als um das, was im Dachgeschoss passiert. Bis hin zum überraschenden Ende.
Velázquez’ Score ist vor allem im ersten Drittel sehr zurückhaltend geschrieben. Geprägt von getragenem Tempo und einem lyrischen Hauptthema, das nach sehr zurückhaltender Andeutung am Anfang erstmals im dritten Track „A Chance Of Happiness“ zu hören ist. Dieses Thema spiegelt vor allem auch die Sehnsucht der Kinder nach Geborgenheit und Friedlichkeit wider. Insgesamt setzt Velázquez das Thema allerdings deutlich sparsamer ein, als man es von ihm kennt. Das führt leider dazu, dass sich dieses wunderbare Thema – zumindest auf dem Album – erst so richtig im Abspann („Marrowbone“) entfalten darf.
Im weiteren Verlauf nehmen dann sowohl die Geschichte, als auch der Score etwas an Fahrt auf, zumal die Geschehnisse im Haus immer stärker in den Fokus rücken. Und so verlagert sich auch der Schwerpunkt des Scores hin zu mehr Suspense-Musik. Aber auch hier trägt Velázquez nicht dick oder übertrieben auf.
Vielleicht ist aber gerade diese Zurückhaltung gepaart mit zu wenig Subtilität der Grund dafür, dass am Ende außer dem tollen Hauptthema weniger vom Score in Erinnerung bleibt, als möglich gewesen wäre.

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