U.S. MARSHALS (1998) war die legitime und temporeiche Fortsetzung von Andrew Davis’ THE FUGITIVE. Doch weil Tommy Lee Jones’ grimmiger, standfester Marshal fast ein bisschen der Showstealer neben Harrison Ford war und den Machern ebenfalls einleuchtete, dass man Kimble nicht wieder auf die Flucht würde schicken können, strickte man dieses Mal die Story um ihn und sein Team. Wieder müssen sie einem Entflohenen (Wesley Snipes) nachstellen, der wie Dr. Kimble im Vorgänger unschuldig ins Gefängnis gesteckt wurde – und wie wir aus THE FUGITIVE wissen, ist das Marshal Sam Gerard ziemlich egal. Robert Downey jr. hat ebenfalls eine feine Rolle bekommen, nachdem sein Privatleben nach CHAPLIN heftig durcheinander gewirbelt wurde. Tatsächlich war er während der Drehzeit quasi auf Probe und durfte die Drehorte nicht verlassen. Eine durchaus witzige Seitenanekdote also.
Für Stuart Baird hat Goldsmith zuvor EXECUTIVE DECISION vertont und war ein wichtiger Bestandteil im Gelingen jenes Projekts. U.S. MARSHALS war alleine durch die Ausgangslage weniger eng abgesteckt (statt in einem Flugzeug durchquerte Marshal Sam Gerard 66 verschiedene Lokalitäten um Sheridan nachzusetzen). Eines der Merkmale dieser Phase in Goldsmiths Werk ist die Hornsektion, die er häufig und durchaus erfolgreich einsetzte. Diese sind auch hier ein wichtiger Bestandteil, ebenso wie die deutlichen, scharfkantigen Rhythmen und orchestralen Ausbrüche, die er meisterhaft in Scores wie L.A. CONFIDENTIAL (1997) und im unterschätzten DEEP RISING (1998) manifestierte. Hier sind sie auf die Spitze getrieben, durchstossen von gestopften, beissenden Trompeten, Snares, heftigen Perkussionseinschüben, tiefen Tönen eines (manipulierten) Klaviers, kurzen Holzbläsermotiven und begleitet von klickenden Synthesizerfiguren.
Den Marshals vergibt er eben diese Hornsektion unterstützt von den Snares um die Stärke und Macht der Obrigkeit zu unterstreichen. Für den Gegenspieler, Sheridan (Snipes), findet Goldsmith metallisch anmutende Klänge der Perkussion und der Synthesizer, geheimnisvoll und gleichzeitig bedrohlich klingend, während eine Solohorn im kurzen «The Humidor» und ganz zu Beginn von «Take it All» Sheridans andere, bekümmerte Seite aufzeigt.
«Eyes on the City» ist ein toll gemachtes Verfolgungsstück, das auf der alten CD nur zur Hälfte präsent war, dabei ist es eines der bemerkenswerteren im Film, spannend, unterschwellig und hervorragend in die Szenerie gelegt. In «Following Chen» setzt Goldsmith dem noch eins drauf, wuchtiger und mächtiger als der eben erwähnt Track daherkommend. Das ist ganz grosses Kino und wer es nicht glauben sollte, möge sich diese Szene im Film anschauen und beobachten was Komponist, Regisseur und Editor hier vollbringen. «Funeral Ambush» ist ein flottes Actionstück, das Fans auf der alten Varèse vermissten, ebenso wie «Up the Stairs», «Ship Fight» und «The Pen», das im ersten Drittel Wehmut und Ruhe in den Score bringt. Das 7minütige, allumfassende und beschliessende «End Credits» ist nun ebenfalls enthalten. Wohl wahr. Jerry Goldsmiths U.S. MARSHALS mag nicht der grösste Wurf in seiner Spätphase sein. Aber der Score ist besser als sein Ruf und nicht schlechter als andere Action- und Spannungsscores aus seiner Feder Ende der 90er Jahre. Varèse Sarabande kam damals mit einem 29 Minuten kurzen Tonträger daher, der sich anfühlte wie eine zu knappe Unterhose. Sie genügte kurzzeitig den Ansprüchen, aber wer den Film gesehen hatte, wusste, es gab Momente in der Musik, die sich auf der CD gut machen würden. Ach ja, und wer kann: Richtig laut stellen, das Ding!
Phil 16.5.2020
U.S. MARSHALS – The Deluxe Edition
Varèse Sarabande Club
Jerry Goldsmith
75:28 Min.
39 Tracks
Limitiert auf 3000 Stück