Es gab eine Zeit, in der John Williams der «Master of
Disaster» war, big budget Katastrophenfilme ein riesiges Staraufgebot besassen
und die zugehörigen Filmmusiken ausserordentlich sparsam eingesetzt wurden.
Tatsachen, die man sich heute kaum mehr vorstellen kann… oder wie wäre es mit
George Clooney, Leonardo DiCaprio, Scarlett Johansson und Harrison Ford in einem
Film über einen brennenden Wolkenkratzer oder in einer globalen Katastrophe
steckend? Da müssen wir uns mit Dwayne Johnson und John Cusack, unendlicher
Action, stupider Dialoge, CGI bis zum Erbrechen und Musiken von Steve Jablonsky,
Harald Kloser und Thomas Wander begnügen falls es uns zu einem Film wie
SKYSCRAPER oder 2012 ziehen würde. Auch in den 90er Jahren erfuhr der
Katastrophenfilm mit TWISTER, DEEP IMPACT, VOLCANO und DANTE’S PEAK eine kurze
Renaissance, unter anderem mit namhaften Komponisten wie James Horner und Alan
Silvestri am Dirigentenpult.
Zweifellos, Storys waren nie die grosse Stärke des Genres, das war auch in den
70er Jahren nicht viel anders. Aber zumeist wurde der Fan mit einer Filmmusik
belohnt, die einen nicht gleich erschlug – und schlecht waren die Filme damals
nicht, abgesehen von dem ein oder anderen Trittbrettfahrer.
Also ist diese DISASTER MOVIE SOUNDTRACK COLLECTION durchaus willkommen, ist es doch eine Weile her, dass die Scores zu EARTHQUAKE (Varèse), THE TOWERING INFERNO (Film Score Monthly) und THE POSEIDON ADVENTURE (Film Score Monthly) veröffentlicht wurden und erhältlich waren. Sie sind längst zu gesuchten und teuren Produkten in der Bucht wurden.
POSEIDON ADVENTURE
Mit THE POSEIDON ADVENTURE wagte Irwin Allen den grossen und teuren Sprung ins Kino. Es lohnte sich. Nach anfänglichen Bedenken von 20th Century Fox (Allen versprach schliesslich die Hälfte des Budgets selber aufzutreiben), das Einspielergebnis übertraf die $100 Mio. Grenze bei einem Budget von nicht mal $5 Mio. Der Film war ein Hit und wurde später zum Dauerbrenner im TV. Gene Hackman, Ernest Borgnine, Roddy McDowell, Shelley Winters und eine jungen Pamela Sue Martin (später zu TV-Stardom mit Dynasty gekommen) müssen sich durch einen von einer Riesenwelle gekenterten Luxusliner kämpfen, notabene steht das Riesenschiff kopfüber, was die Sache, um dem Inferno zu entrinnen, nicht einfacher macht. 1998 erschien bei Film Score Monthly erstmals die Filmmusik von John Williams nachdem einige Jahre zuvor ein Bootleg durch die Fanhände zirkelte. Mehr Musik als die FSM Veröffentlichung bietet La-La Land in Form von Alternates und nicht verwendeten Stücken sowie dem gelungenen Filmsong «The Morning After», der auch im Film interpretiert wurde und damals zu einem unerwarteten Hit (Nummer 1 in den US- Billboard Charts) avancierte.
Irwin Allen verhalf John Williams zum Aufstieg im TV mit Engagements (und Titelthemen) für THE TIME TUNNEL und LAND OF THE GIANTS und nach Erfolgen mit THE REIVERS und IMAGES (Academy Award Nominationen) hielt Allen Williams fit genug für seinen Abenteuerfilm. POSEIDON ADVENTURE ist ein düsterer Score mit viel Spannungsmusik und wenig Platz für Durchschnaufer wie «Rogo and Linda». Das brodelnde Titelmotiv, von Williams auf der Kletterei durch das Innere des Luxusliners desöfteren verwendet («The Red Wheel»), ist also bereits sinngebend für das was folgen würde. Ganz witzig ist übrigens die Nähe des Tracks «Up the Tree» mit Passagen aus JAWS – Wassermusik. THE POSEIDON ADVENTURE ist Beweis dafür, dass grosses Abenteuer- und Katastrophenkino mit wenig und klug eingesetzter Musik auskommen kann, ist der Score doch nicht länger als 40 Minuten bei einer Laufzeit von rund 117 Minuten. Keine Helden-, sondern eine no nonsense Komposition mit einem beherzten Schlusstitel. Spannend übrigens die doch etwas anderen, alternativen und wesentlich atonaleren «Main Title» Versionen (Tracks 19 und 20).
EARTHQUAKE
EARTHQUAKE war Williams zweite Genremusik. Auch dieser Film kam mit einem grossen Staraufgebot daher: Charlton Heston, Ava Gardner, George Kennedy, Richard Roundtree (eben mit SHAFT in aller Munde gekommen), BONANZA Vater Lorne Greene und in einer kleinen Rolle Walther Matthau. Ein Megaerdbeben sucht Los Angeles heim und macht die Filmmetropole dem Erdboden gleich. Ein besonderes Zückerchen legte das Studio mit der Sensurround-Tonspur bei, die in den wenigen Kinos mit den zusätzlich benötigten Lautsprechern die Mägen und Gehörgänge der Kinogänger gehörig durchschütteln und im ein und anderen Kino sogar den Deckenverputz bröckeln liess. Das ging sogar soweit, dass man die ursprüngliche Soundtrack Veröffentlichung stoppte, um Erdbebentoneffekte hinzuzufügen – nicht unbedingt das, was der Filmmusikfan braucht. Interessanterweise dauert das grosse Erdbeben im Film weniger als 10 Minuten (mit Parallelschnitt zu den Begebenheiten an und für sich sogar noch und realistisch kürzer), viel mehr Zeit wird für die Einführung der Charaktere und die sich nach dem Beben stattfindenden Rettungsmassnahmen verwendet. Das ändert aber nichts daran, dass die Dialoge und Taten der Protagonisten eher auf die schwache Seite zu stehen kommen – trotz einem (jedoch umgeschriebenen) Mario Puzo Entwurf. Mark Robsons Film ist der schwächste des Trios.
Die La-La Land Sache ist, vorausgesetzt man kennt die Musiken bereits, die wohl interessanteste dieser Collection, haben wir hier doch die Möglichkeit dem Filmscore plus der Albumeinspielung (bekannt von der Varèse CD) zu lauschen, so wie es Williams desöfteren machte. Somit ist EARTHQUAKE die eigentliche Premiere hier. Das geschäftige, peppige Titelthema für die Stadt Los Angeles (allerdings weniger markant als jenes der Neueinspielung) bildet zusammen mit dem kurzen Schlusstitel auch in der Filmversion den Höhepunkt eines Scores, in dem Williams Grossteils dem Sensurroundeffekt aus dem Weg geht, die Erdbebengefahr jeweils nur kurz anspielt, während des Bebens aber keine Musik ertönen lässt. Ansonsten nimmt sich Williams Zeit um die Charaktere musikalisch zu unterstützen.
THE TOWERING INFERNO
Die beste Musik lieferte John Williams für den teuersten der drei Filme ab. THE TOWERING INFERNO war damals mit 14 Mio$ ein Projekt, dass sich die beiden Giganten 20th Century Fox und Warner teilten – nicht zuletzt weil Irwin Allen ihnen diese Idee schmackhaft machte statt wie zunächst geplant zwei getrennte, sehr ähnliche Projekte zu entwickeln. Obwohl die Produzenten darauf bestanden mit John Guillermin einen gestandenen Regisseur zu verpflichten, war Irwin Allen der Mann hinter und auch vor den Kulissen. Er inszenierte die Actionszenen, von denen es nicht wenige gab, und damit die besten Momente des Films selber. Allen war es auch, der sich erinnerte wie gut und erfolgreich (Oscarnomination) John Williams’ Musik zu THE POSEIDON ADVENTURE war und betraute den in kurzer Zeit zu einem der kommenden Filmmusiknamen aufgestiegenen Komponisten mit dem Score zu diesem Megaprojekt. Steve McQueen, Paul Newman, William Holden, Faye Dunaway, Fred Astaire, Richard Chamberlain, Jennifer Jones, Robert Vaughn und (der unglücksselige) Footballstar O.J. Simpson führen einen Cast an, der sich durch den in Brand geratenen Superwolkenkratzer kämpfen muss. THE TOWERING INFERNO ist sowas wie der Höhepunkt der Katastrophenfilmwelle und ein atemberaubender Megablockbuster, der sage und schreibe acht Academy Award Nominierungen holte (bei drei gewonnen Goldmännchen) und damals zu einem der erfolgreichsten Filme wurde. Bekannt wurde der Film auch wegen des internen Hahnenkampfs zwischen McQueen und Newman: McQueen bestand darauf, mindestens dieselbe Anzahl Sätze wie Newman zu erhalten, doch sein Charakter als Feuerwehr Chief schwang oben auf (nicht zuletzt auch weil er erst nach 40 Minuten Laufzeit auf dem Screen erschien und Newman bis dahin bereits so einige Dialoge führte). Immerhin ist der Machtkampf der damaligen Topstars dem Film nicht anzumerken.
THE TOWERING INFERNO hat mit Abstand (im Film und auf der CD) am meisten, die eindrucksvollste und abwechslungsreichste Musik zu bieten. Der «Main Title» (inklusive des markanten Hauptthemas), eine 5 Minuten dauernde Helikoptersequenz in der Williams’ Musik ungestörte und besonders viel Aufmerksamkeit erfährt, ist ein tolles, mitreissendes Zuckerli, einige der zahlreichen Actionpassagen lassen Blockbuster wie STAR WARS und SUPERMAN – THE MOVIE vorausahnen und mit dem eingängigen «We May Never Love Like This Again» versuchte man an den Erfolg des Filmsongs aus THE POSEIDON ADVENTURE heranzukommen – ausserdem arbeitet Williams das Thema vorbildlich in seinen Score ein. Erwähnenswert ist auch der famose 6 Minuten Spannungstrack «Setting the Charges». Es gibt einiges an source music und leichter Musik für die Charaktere, die insbesondere auf CD 2 (etwa Lionel Newmans «Again» oder eine Instrumentalversion von «The Morning After») aber auch im Score selber zu hören sind («Something from Susan», «Lisolette and Harlee»). Zusammen mit THE COWBOYS ist TOWERING INFERNO für manch einen der beste Score der pre-JAWS-Ära von John Williams – ich mag die 40 Minuten aus THE POSEIDON ADVENTURE allerdings auch sehr.
Uneingeschränkt: Wer die Scores noch nicht besitzt, der sollte hier wirklich zugreifen. Dieses Stück Filmmusikgeschichte eines der grössten Filmkomponisten unserer Zeit gehört in eine gute Filmmusiksammlung wie das Amen in die Kirche. Dabei hört sich das Ganze auch verdammt gut an, was will man also mehr? Jedem Score liegt übrigens ein separates, jeweils mehr als 20 Seiten dickes Booklet bei. Eine Superproduktion für La-La Land von Mike Matessino.
Phil, 4.2.2020
THE DISASTER MOVIE SOUNDTRACK COLLECTION
John Williams
La-La Land Records
Limitiert auf 5000 Exemplare
THE POSEIDON ADVENTURE
61:42 Min.
30 Tracks
EARTHQUAKE
78:55 Min.
33 Tracks
THE TOWERING INFERNO
2 CDs
155:40 Min.
24 Tracks