THE AVA COLLECTION Elmer Bernstein Intrada Special Collection Volume 262 CD 1 58:52 / 23 Tracks CD 2 49:16 / 21 Tracks CD 3 61:34 / 21 Tracks
Nur gerade mal von 1961 bis 1965 existierte das Platten-Label Ava (oder äva, wenn man nach dem auf den Original-LPs prangenden Logo geht), genannt nach der Tochter von Mitgründer Fred Astaire. Dass Ava insbesondere älteren Filmmusikliebhabern trotzdem auch heute noch ein Begriff ist, ist vor allem auf die sechs Elmer-Bernstein-Alben zurückzuführen, die während einer der kreativsten Phasen des Komponisten erschienen sind, und von denen deshalb zwei als absolute Klassiker bezeichnet werden dürfen.
Bei diesen LPs handelt es sich, wie zu jener Zeit nicht unüblich, um kurze, den Hörgewohnheiten einer breiten Kundschaft entgegenkommende Alben, die zwar nicht die Filmeinspielungen enthalten, diesen in den meisten Fällen jedoch recht nahe kommen. Aufgenommen in Dreikanal-Stereo und mit Topmusikern aus Hollywood, den Westküsten-Sinfonieorchestern, des Jazz und hochkarätigen Solisten an den Notenpulten, stand Elmer Bernstein alles Erdenkliche zur Verfügung, um seine Musik in höchster Qualität zu produzieren.
Von der klanglichen Qualität blieb im Laufe der Jahre bei den Wiederveröffentlichungen dieser Titel aber leider nicht mehr viel übrig, denn anstatt auf die exzellenten Albummaster zurückzugreifen, wurde direkt ab Vinyl kopiert, und eine übermässig angewendete Rauschunterdrückung gab dem Klangbild dann oft noch ganz den Rest. Dies gilt nicht nur für die LPs von Citadel und die CDs von Mainstream (das den Ava-Katalog 1965 übernommen hatte), sondern auch für Anbieter, die ansonsten mehr aufs Audiophile achten, wie Mobile Fidelity oder das japanische Label SLC.
Nun erklingen diese Alben erstmals wieder in alter (oder neuer) Dynamik. Nicht weniger als zwei Dekaden hat Intrada nach den Original-Bändern gesucht und sie schliesslich in tadellosem Zustand und komplett (bei den bisherigen Wiederveröffentlichungen fehlt da und dort der ein oder andere Track) aufgefunden. Die sechs Alben verteilen sich auf drei CDs, begleitet von einem Booklet, das vom Intrada-Boss persönlich getextet wurde und Reproduktionen sowohl der Front- als auch der Back-Cover jeder LP sowie deren Liner-Notes enthält. Alles in allem ergibt das eine sehr schmucke Edition, die in jeder Bernstein-Sammlung einen Ehrenplatz verdient.
Eröffnet wird der Reigen mit einem der oben erwähnten Klassiker: Walk on the Wild Side (1962). Im Mittelpunkt dieses Streifens von Edward Dmytryk steht ein Bordell im New Orleans der frühen 1930er-Jahre; nebst Stars wie Laurence Harvey und Barbara Stanwyck ist auch Jane Fonda in einer ihrer ersten Rollen zu sehen. Eine Klasse für sich ist der von Saul Bass gestaltete Vorspann mit einer schwarzen Katze, deren geschmeidige Bewegungen mit dem verführerischen Ambiente des jazzigen Hauptthemas ‒ das zu den ganz markanten Bernsteins gehört ‒ eins werden. Der Jazz charakterisiert denn auch im Wesentlichen den Score, sei es im dramatischen Kontext oder als Source-Musik. Daneben kommt mit Night Time, Dove oder dem lieblichen, mexikanisch angehauchten Teresinadie Romantik nicht zu kurz, und ein paar düstere Klänge vervollständigen diesen sinnlichen und zeitlos eleganten Score.
Ebenfalls unter der Regie von Dmytryk entstand 1964 ‒ nach einem Roman des Bestseller-Autors Harold Robbins ‒ The Carpetbaggers mit George Peppard als Geschäftsmann, der mehr als deutlich Howard Hughes nachempfunden ist. Hitziger Jazz mit den Trompeten als Leader bestreitet zusammen mit afrikanischer Perkussion die attraktive Eröffnungsnummer The Carpetbaggers; ein Indiz dafür, dass auch hier der Jazz in verschiedenen Ausdrucksformen eine wichtige Rolle spielt. Der sanfte Rhythmus des aparten Love Theme steht im deutlichen Gegensatz zu Forbidden Room mit seinen unwirklichen, wie einen unbehaglichen Traum begleitenden Klängen, während The Producer Asks For A Divorce mühelos zwischen verschiedenen Emotionen hin und her hüpft. Dies ist auch in seiner Kurzform ein sehr aussagekräftiger Score, der in dieser Version von Intrada bereits vor Jahresfrist zusammen mit dem rund 40-minütigen Filmoriginal schon einmal veröffentlicht wurde.
Hall Bartletts The Caretakers von 1963 handelt von einem Arzt (Robert Stack), der voller Optimismus an den Patientinnen einer psychiatrischen Klinik seine neue Behandlungsmethode ausprobieren will. Die LP dazu ‒ strikt getrennt durch Source-Musik auf Seite 1 und Underscore auf Seite 2 ‒ ist mit einer Laufzeit von nicht ganz 24 Minuten das kürzeste der hier versammelten Alben. Wie zu erwarten gefällt Bernstein auf beiden Seiten; hier mit schmissigen und kurzweiligen Jazz-, Blues- und Tanz-Nummern, dort mit der Beschreibung eines beängstigenden Klinik-Alltags (Electrotherapy, Seclusion), der die Euphorie des vor Energie fast berstenden Main Title schnell verpuffen lässt. Gelegentlich fliesst auch Mitgefühl mit ein, dies vor allem in Finale, wo dann schliesslich auch der Optimismus des Hauptthemas nochmals zurückkehrt. Mit dem 2008 von Varèse veröffentlichten (mittlerweile vergriffenen) Club-Release des Originalscores bekommt man zwar mehr Musik, aber dafür ist das Ava- Rerecording meines Erachtens eine Spur engagierter.
Steve McQueen als Sänger einer Country-Rock-Band, das gab es tatsächlich mal, und zwar 1965 in Robert Mulligans Baby The Rain Must Fall, wobei der Schauspieler jedoch nicht selbst sang. Die Musik auf dem Album soll der Filmeinspielung nur entfernt gleichen und setzt stattdessen auf den damals aktuellen Sound von Rock ’n› Roll, Beat und Folk, mit Vokaleinlagen von «The We Three Trio» und «Jim & Johnny». Dies ist sicherlich kein Bernstein der oberen Liga, aber die instrumentalen Stücke haben dank Shorty Rogers› knackigen Arrangements mit Bläsern und Hammond-Orgel, die das Ganze mit etwas Jazz abschmecken, immerhin einen hohen Unterhaltungswert. Anspieltipps: Baby The Rain Must Fall, Travelin› Lady und Wagon Wheel Watusi.
Drei Jahre vor Baby The Rain Must Fall entstand Mulligans und Bernsteins bekannteste Zusammenarbeit, die für alle Mitwirkenden zur Sternstunde wurde: To Kill A Mockingbird, basierend auf dem populären, mit dem Pulitzerpreis geadelten Roman von Harper Lee. Die in einem verschlafenen Südstaaten-Kaff während der Depressionszeit angesiedelte Story erzählt die Ereignisse rund um den verwitweten Anwalt Atticus Finch (Gregory Peck in der Rolle seines Lebens), der einen der Vergewaltigung bezichtigten Schwarzen verteidigt und sich damit keine Freunde macht, aus der Perspektive seiner beiden Kinder.
Bernstein besticht durch die aus seinen Western bestens bekannte Americana und ‒ ebenfalls ein Markenzeichen von ihm ‒ scharf akzentuierte Dramatik und Action. Was diesen Score aber fraglos zu einem seiner besten macht, ist das unvergleichliche Hauptthema, das so rein, unschuldig und imaginativ daherkommt wie eine Kinderseele. Der verklärte Klang von Klavier, Harfe, Flöten und Akkordeon verströmt jene längst verloren gegangene Magie, die man wehmütig mit den endlosen Sommern der Kindheit verbindet.
Dies ist zwar das kürzeste aller Mockingbird-Rerecordings ‒ Bernstein nahm den Score 1976 in einer längeren Fassung und 1996 in einer Komplett-Einspielung nochmals auf ‒ kommt aber dem Geist des (bis heute unveröffentlichten) Originals am nächsten.
Auf dem Cover des 1962 produzierten Samplers Movie and TV Themes findet sich noch der Schriftzug Choreo, denn so nannte sich Ava ursprünglich. Da jedoch ein Label gleichen Namens bereits existierte, musste man sich schnell etwas anderes einfallen lassen, und so kam Astaires Tochter zu Ehren. Das Album präsentiert eine Reihe von Bernsteins Jazz-Themen in neuen, elektrisierenden Arrangements. Neben Bekanntem wie Rat Race, Sweet Smell Of Success und The Man With The Golden Arm findet sich auch weniger Geläufiges wie Radio Hysteriaoder Saints And Sinners. Und zu guter Letzt schliesst sich mit Walk On The Wild Side ein faszinierender musikalische Kreis, der nicht nur Bernstein-Kennern, sondern auch Neo-Fans des Komponisten wärmstens zu empfehlen ist.
Andi, 16.5.2014
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