Die langwierige, problembeladene Produktion von APOCALYPSE NOW war ein Kraftakt sondergleichen, der allen Beteiligten das Äusserste abverlangte, und davon blieb auch die Musik nicht verschont. Zwar kam für Francis Ford Coppola von Anfang an nur ein rein elektronischer Score in Frage, und mit Synthesizer-Pionier Isao Tomita stand auch schon früh sein Wunschkandidat fest. Von diesem musste er sich jedoch verabschieden, als sich bei einem Treffen herausstellte, dass Tomitas Arbeitstempo für Coppola zu behäbig war. Zur Diskussion standen eine Zeit lang auch The Doors, die entweder instrumentale Musik beisteuern sollten oder man sich bereits bestehender Songs bedienen würde («The End» ist letztlich im Film verblieben), aber da nichts wirklich passen wollte, wurde auch dieser Plan begraben. Es gab zudem fruchtlose Auditionen mit Wendy Carlos und Patrick Gleeson, einem weiteren Elektronik-Experten, der dann allerdings später doch noch zum Projekt stiess, als er mit einem mehrköpfigen Team, dem auch Shirley Walker angehörte, die letztlich von Vater und Sohn Coppola kreierte Musik nach deren Visionen umsetzte.
Obwohl David Shire in Sachen elektronischer Musik bis dato keine bedeutende Rolle spielte, wandte sich Coppola schliesslich an ihn; eigentlich keine unlogische Wahl, hatte er sich mit THE CONVERSATION doch bereits die Gunst des Regisseurs erworben und war seit der Heirat mit dessen Schwester Talia Teil des Coppola-Clans. Aber ganz ohne Hilfe wagte er sich nicht in dieses Abenteuer und holte sich mit Daniel Wyman und Peter Bergren zwei ausgewiesene Spezialisten im Umgang mit analogen Synthesizern ins Boot, die z. B. auch John Carpenter bei HALLOWEEN unter die Arme griffen. Wyman war für die Klangerzeugung zuständig, Bergren für auf diese zugeschnittene, ausgeklügelte Aufnahmetechniken.
«Seltsamerweise ging die Erschaffung dieser Musik praktisch gleich vonstatten wie bei einem grossen, sinfonischen Score», erzählt Shire, «und obwohl es sich um eine Ansammlung sonderbarer Klänge handelt, wohnt ihnen eine Art organische Einheit inne». Beim Komponieren verwendete Shire ganz traditionell Stift und Papier zum Aufzeichnen von Harmonien und Melodien. Die Notenblätter wurden für den «Synthestrator» Wyman ergänzt mit Bemerkungen über spezifische Klänge, die Shire vorschwebten. Das konnte eine «jenseitige Posaune» sein, ein «tankgrosses Waldhorn» oder ein «kosmischer Gong». Wyman warf dann seine ARP-, Moog-, Oberheim- und E-mu Systems-Synthesizer an und tüftelte nächtelang an der Umsetzung dieser Vorgaben herum. Er suchte aber auch schon mal gemeinsam mit Shire und den Keyboardern Clark Spangler und Michael Boddicker nach dem perfekten Sound, etwa für «Hell-icopter» (was für ein Wortspiel), wo sie mit allem Möglichen herumspielten, das die Illusion von Rotorgeräuschen erzeugen konnte.
Der Score ist vom Grundcharakter her zwar abstrakt und experimentell, um die Wahrnehmungsstörungen der Soldaten infolge Kriegstraumata und Drogen sowie die Reise ins Herz der Finsternis auf surreale Art und Weise zu erfassen, lässt aber dank Mini-Leitmotiven, wie Shire sie nennt, immer wieder die Realität durchblitzen. Und es finden sich auch Phasen des Durchatmens, sei es bei den tiefenentspannten Urwaldgeräuschen in «Tiger Tiger» oder dem zwischen Traum und Wirklichkeit schwebenden «The French Plantation».
In den Extras der CD finden sich unter anderem auch zwei kurze, von Wyman stammende Demos des «Ride of the Valkyries». Die Idee zu dessen Verwendung stammt von Drehbuchautor John Milius, und es sollte ursprünglich ebenfalls elektronisch bearbeitet werden, um möglichst technisch und seelenlos zu klingen. Dass man davon aber schlussendlich absah, kann als Geniestreich bezeichnet werden, wurde dies doch zum vielleicht nachhaltigsten Klassikstück der Filmgeschichte, das man seither, ob man will oder nicht, unweigerlich mit APOCALYPSE NOW ‒ insbesondere Hubschraubern und dem Geruch von Napalm am Morgen ‒ assoziiert.
Über ein Jahr lang arbeiteten David Shire und sein Team an der Musik, aber dies sollte sich nicht auszahlen. Warum sie letzten Endes abgelehnt wurde, ist bis heute nicht klar. Es gibt die These, dass sich Shire den Zorn Coppolas zuzog, weil er sich ohne dessen Wissen für NORMA RAE verpflichten liess, aber es könnte natürlich auch zu Diskrepanzen gekommen sein, weil der künstlerische Austausch zwischen Komponist und dem auf den fernen Philippinen drehenden Regisseur wohl eher spärlich ausfiel. Dass dieser Score seinen Zweck mindestens ebenso gut erfüllt hätte wie jener, der im Film zu hören ist, lässt sich indes mit Bestimmtheit sagen.
Nicht unerwähnt bleiben darf das exemplarische, 28-seitige Booklet, wo sich Tim Greiving, Initiator dieser Veröffentlichung, bis ins kleinste Detail mit der Entstehung des Scores und noch so einigem anderen auseinandersetzt. Das sucht selbst unter dem meist hohen Standard der Filmmusik-Labels seinesgleichen und ist locker einen Zusatzpunkt wert. Mit dieser unerwarteten CD wird ein weiteres, bisher wenig bekanntes Kapitel von APOCALYPSE NOW geschrieben. Ob es wohl das letzte ist?
Andi, 9.2.2018
APOCALYPSE NOW ‒ THE UNUSED SCORE David Shire La-La Land Records LLLCD 1439 59:12 Min. / 20 Tracks Limitiert auf 2000 Stk.
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