kurz und knapp 30

THE CURSE OF TURANDOT
Simon Franglen, Sony Masterworks / Milan

THE CURSE OF TURANDOT (2021) ist ein chinesisches Fantasy-Spektakel von Regisseur Zheng Xiaolong. Der Film adaptiert dasselbe Volksmärchen, das auch Puccini in den 1920er-Jahren zu seiner weltberühmten Oper inspiriert hatte, gibt dem Stoff aber noch eine deftige Prise Fantasy und Action hinzu. Die Filmmusik stammt vom langjährigen James-Horner-Arbeitskollegen Simon Franglen. Dieser rührt hier mit Orchester und Chor mit der grossen Kelle an und unterhält wunderbar mit schönen Themen, musikalischen Lokalkolorit-Tupfen und reichlich Drama. Für diesen Film wartet Franglen mit einem markanten Hauptthema und einem schönen Liebesthema auf und er verwebt diese tragenden Melodien in eine vielseitige Partitur. Das Hauptthema erhält im letzten Stück des Albums, «Turandot Theme», einen prächtigen, konzertanten Auftritt, ist aber auch im eröffnenden Stück «Entry to the Khan’s Palace» ein erstes Mal kraftvoll zu hören. Das Liebesthema folgt in «Master Zhou Returns», wobei die schönste Darbietung in «Turandot and Calaf Sword Training» erklingt. Das dritte Element der Musik ist die Action-Musik. Auch hier lässt Franglen nichts anbrennen und sorgt in Stücken wie «Blood», «The Throne Room Battle» und «The Horse Chase» für viel Furore und nach dem Action-Finale darf dann natürlich mit «Call Me Blue Eyes» nochmals das Heldenthema dramatisch aufleuchten.

Franglen setzt hier zwar auf mehrheitlich bewährte Ingredienzen, verzahnt diese jedoch mit schönen, eingänglichen Themen und kräftigen Klangfarben. Dabei sind durchgehend punktuelle Anlehnungen an Kompositionsstile von James Horner zu hören, was indes keineswegs ein Nachteil ist beziehungsweise die Horner-Fans immer mal wieder zum Schmunzeln bringen oder gar zu Tränen rühren dürfte.

Basil


WEST SIDE STORY
Leonard Bernstein, Hollywood Records

In Steven Spielbergs langen Karriere stand immer wieder zur Debatte, dass er ein Musical verfilmen möchte. Am nächsten ist er dabei bei HOOK gekommen, bei dem einige wenige Nummern des geplanten Peter Pan Musicals im Film verblieben sind, es schliesslich aber doch bei einem «richtigen» Film blieb. Spielberg hat sich in seinen Veteranentagen nun für eine Wiederverfilmung des erfolgreichen WEST SIDE STORY Musicals, einst von Robert Wise grandios auf Film gebannt und mehrfach mit dem Oscar ausgezeichnet, entschieden. Wie schon bei READY PLAYER ONE (2018, Alan Silvestri) und BRIDGE OF SPIES (2015, Thomas Newman) aber auch einst bei THE COLOR PURPLE (1985, Quincy Jones und viele andere), setzt Spielberg auf ein anderes musikalisches Team. John Williams amtierte hier allerdings als Music Consultant.

Hinter dem Dirigentenpult der tollen, musikalischen Umsetzung des Bernstein/Sondheim Hits stand Gustavo Dudamel, David Newman zeichnete als Arrangeur verantwortlich, es spielt das New York Philharmonic (mit zusätzlichen Aufnahmen mit dem The Los Angeles Philharmonic. Hinsichtlich Musicals war ich immer schon ein «grumpy guy» und als grosser Spielberg-Fan stets dankbar, dass er sein Vorhaben mit einem eigenen Musical nicht schaffte. Nur wenige der gesungenen Spektakel haben einen Platz in meinem Herzen gefunden: THE NIGHTMARE BEFORE CHRISTMAS (1993) von Danny Elfman und die Wise Verfilmung von Leonard Bernsteins WEST SIDE STORY, aber auch die Aufnahme des von Bernstein selber dirigierten Albums mit Kiri Te Kanawa und José Carreras haben das geschafft (die filmische Dokumentation sollte man sich unbedingt ansehen). Und so bin ich absolut voreingenommen was die Wertung dieser CD anbelangt.

Phil


NOBODY
David Buckley, Back Lot Music

Immerhin konnte sich Buckley nach seinem unsäglichen UNHINGED etwas steigern und spendierte der Hauptfigur im vorliegenden Album ein Thema. So zu hören in «Nobody». Gelegentlich wird es zum Zweiton-Motiv gestutzt und vermag zu gefallen.

Saxofon und einige dissonante Klavierakkorde in «They Know, I Know, You Know» laden zum Dösen ein, aber die verratzten Gitarrenriffs in «We Reap What We Sow» oder «I am Gonna Fuck You Up» machen ihrem Namen alle Ehre, und schlagen den Hörer in die Flucht. Spätestens dann fragt man sich, warum solch ein Scoring veröffentlicht wird. Wenn der gemeine Filmmusikfreund damit nichts anfangen kann, sollte so eine Gebrauchsmusik da bleiben, wo sie herkommt: Im Film. Denn dort funktioniert sie, gerade auch im Zusammenspiel mit den vielen Songs, welche die raue Morderei etwas konterkarieren. Vielleicht sind auch nur die Cues etwas unglücklich ausgewählt. 

Oliver


QINGHAI: OUR NATIONAL PARK
Chad Cannon, MovieScore Media / Keep Moving Records

Die 3-teilige TV-Miniserie QINGHAI: OUR NATIONAL PARK (2021) von Regisseur Li Xiao porträtiert die Grösse und die Natur des gleichnamigen Nationalparks, in dem die drei grossen Flüsse Chinas entspringen: der Gelbe Fluss, der Jangtse und der Mekong. Die themenreiche, vielfältige Filmmusik hierzu schrieb Komponist Chad Cannon. Neben Aufnahmen in Prag mit einem 70-köpfigen Sinfonieorchester konnte er in Los Angeles mit einer Kammermusikbesetzung arbeiten.

Komponist Cannon äusserte sich zur Musik wie folgt: «Regisseur Li wünschte von mir grosse, offene und warme Emotionen, vielleicht ähnlich wie im amerikanischen Westen, wo ich aufgewachsen bin.» Das Album präsentiert knapp 60 Minuten von Chad Cannons Musik, wobei von grossorchestraler Erhabenheit (u.a. im eröffnenden Stück «Endless Green») über mystischen Gesang (herrlich in «Underwater Flowers» und «The Song of Life») bis hin zu verspielten Klängen (beispielsweise in «Yak Pies» und im zweiten Teil des 7-minütigen «Snow Leopard») alles dabei ist. Einzig ein eigentliches Hauptthema, das sich durch die ganze Musik durchzieht, fehlt. Dies hat zur Folge, dass in fast jedem Stück eigenständige Ideen präsentiert werden. Diese sind jedoch allesamt hörenswert und zahlreiche davon vermögen nachzuhallen.

In den ruhigeren Momenten der Musik und hinsichtlich des Einsatzes der Perkussion und der Holzbläser fühlt man sich stellenweise an Arbeiten von Alexandre Desplat erinnert. Dies würde dahingehend nicht allzu sehr überraschen, da Cannon unter anderem für Desplat orchestriert hatte. Chad Cannon braucht sich auch vor Filmmusikgrössen im Doku-Genre wie George Fenton und Steven Price nicht zu verstecken.

Basil


SPENCER
Jonny Greenwood, Universal Music

Nachdem sich Kristen Stewart im himmeltraurig schlechten CHARLIE’S ANGELS Reboot (2019 – okay, auch die beiden anderen Kinofassungen waren nicht viel besser) lächerlich gemacht hat, wagte sie den Sprung ins ernste Fach mit der Verfilmung der Story von Princess Diana und deren Entschluss, die Ehe mit Prinz Charles zu beenden. Stewart wurde prompt für den diesjährigen Oscar® für die beste weibliche Hauptrolle nominiert. Die Musik zu SPENCER (2021), demnächst erhältlich auf CD und LP, stammt vom von mir geschätzten Jonny Greenwood, der im gleichen Jahr mit THE POWER OF THE DOG (2021) den meiner Meinung etwas schwächeren, aber bei der Filmgilde anscheinend höher geschätzten Score ablieferte. In SPENCER paart Greenwood Jazz mit Kammermusik (Streicher, Soloklavier oder Spinett) und erschafft so nicht nur eine gewisse Schwere, sondern auch höchst spannende, intensive Kombinationen. Als Hauptinstrument für den Jazzteil verwendet der Komponist ein Flügelhorn, akustischen Bass, Schlagzeug. Idealerweise greifen die beiden Elemente ineinander oder werden übereinander gelegt, werden aber oftmals auch getrennt präsentiert. Zwei Hauptthemen hat Greenwood geschaffen, aber wer seine Musik kennt, weiss, dass da noch viel mehr zu entdecken ist.

Sein interagierender Minimalismus und die Besonderheit seiner Klangbildnisse sind auch hier zu finden («Calling the Whipper in»), unterscheiden sich aber von THE POWER OF THE DOG, der mehr experimentell und bisweilen atonaler Art ist. SPENCER ist ein beeindruckender, rund 45 Minuten dauernder Filmscore und hätte meiner Meinung an Stelle von THE POWER OF THE DOG die Nomination in der Sparte Musik bei den Academy Awards verdient gehabt.

Phil


1883 – SEASON I, Vol. I
Brian Tyler & Breton Vivian, Milan Records

Mit YELLOWSTONE (2018–2021) gelang Taylor Sheridan eine unterhaltsame, stimmungsvolle Western-Serie. Nun folgt mit 1883 (2021) eine Prequel-Serie, welche die Viehzüchterfamilie Dutton auf ihrer Reise durch die Great Plains begleitet und erzählt, wie sie das Land erhält, auf der später ihre Yellowstone-Ranch zu stehen kommen wird. Für die Musik zeichnen die Komponisten Brian Tyler und Breton Vivian, die schon YELLOWSTONE vertonten, verantwortlich. Ihre YELLOWSTONE-Musik gefiel mir sehr gut und auch das erste, knapp 80-minütige Album zu 1883 weiss zu überzeugen.
Die Musik zu 1883 ist kein Lobgesang auf ausgelassene Wild-West-Abenteuer und Great-Planes-Romantik, sondern porträtiert dramatische Schicksale vor der Kulisse einer pittoresken, aber unnachgiebigen, rauen Natur. Tyler und Vivian rücken diesem Stoff mit einer überwiegend dunklen, oftmals hypnotischen Musik auf den Leib. Es dominieren Streicher und Einwürfe von Fidel, Gitarre, Klavier, klickender, zittrigen Perkussion, metallische Klangeffekte.

Diese Western-Musik erinnert nicht an Cowboy-Romantik und -Präriegalopp à la THE COWBOYS (1972), THE MAGNIFICENT SEVEN (1960) oder TOMBSTONE (1993) – kein Yee-Haw mit Heldenfanfaren –, sondern reiht sich ein in Western-Porträts wie NEWS OF THE WORLD (2021), 3:10 TO YUMA (2007) oder THE ASSASSINATION OF JESSE JAMES (2007) – reduziert, atmosphärisch, teils minimalistisch. Dennoch besticht die Musik mit ihrer ausgeprägten Melancholie und dem ruhigen Fluss. Zudem erachte ich das 8-minütige «1883 Theme» als ein 2021-Highlight, dessen schönes Hauptthema in jeder Darbietung überzeugt. Über die ganze Spielzeit betrachtet hat das Album sicherlich seine Längen, doch ergeht es mir hier ähnlich wie bei den vorgenannten Werken von James Newton Howard, Marco Beltrami und Nick Cave/Warren Ellis, die trotz aller Kargheit eine hypnotische, betörende Melancholie präsentieren, von der ich mich gerne – nicht negativ gemeint – einlullen lasse. Knallige Wau-Effekte bleiben aus, aber es stellen sich eine angenehme Ruhe und neugieriges Fernweh nach einer vergangenen Zeit und einer entfernten Natur ein. Gelungener Eskapismus, dem ich gerne weiterhin lauschen werde.

Basil


GREENLAND
David Buckley, Varèse Sarabande

Eigentlich ist es mir unangenehm wieder einen Buckley – Score zu verreißen. Aber der Score wird und wird nicht besser, egal wie oft man ihn durchlaufen lässt. Man könnte für den Familienvater ein heroisches Thema erwarten, welches für einen narrative roten Faden sorgt. Oder ein fetziges Motiv für die vom Himmel fallenden Brocken. Stattdessen sphärisches Stimmengemurmel, beliebige Bass-Ostinati und tröge Akkorde wie in «Memories And Desires». Wenigstens verschont uns Buckely mit seiner E-Gitarre. Ein kleines Highlight für Action-Fans ist übrigens «Molten Rain». Dieser Cue ist gelungen und passt so gar nicht zum Gesamtbild. Ich will nicht sagen, das Buckley ein schlechter Musiker ist. Vielleicht sollte er einfach mal seinen Agenten feuern, um an bessere Aufträge zu gelangen.

Oliver


DON’T LOOK UP
Nicholas Brittel, Maisie Music Publishing

Die wunderbar schwarz-humorige Satire auf Corona-Leugner, Klima-Negierer, Trump-Fans und Weltuntergangsszenarios von Adam McKay (VICE, 2018) mit Leonardo DiCaprio, Jennifer Lawrence und in Nebenrollen Meryl Streep und Jonah Hill, ist ein riesiger Spass in diesen düsteren und verrückten Zeiten. Nicholas Brittel, der für McKay nebst VICE auch THE BIG SHORT (2015) musikalisch betreute, schrieb für DON’T LOOK UP einen wundervoll abwechslungsreichen Score und einer meiner Favoriten des vergangenen Jahres. Brittels Musik ist spritzig, erfrischend, träumerisch, optmistisch, manchmal frech und dann wieder aufmüpfig anders. Ganz wie der Film. Zum Start des Scores ist Ariana Grande & Kid Cudi mit einem Song zu hören, der auch im Film prominent gefeatured wurde (Ariana Grande spielt eine durchaus augenzwinkernde Rolle). Brittels Effort für DON’T LOOK UP ist wesentlich besser als sein nerviger Beitrag zu CRUELLA (2021). Der Score für Synthesizer und akustische Teile (Blech, Bass, Violine, Streicher in zwei Tracks) geschrieben, wobei dem elektronischen Teil viel Platz eingeräumt wird. Trotz mehrmaliger Verwendung des Hauptmotivs (für Blech, Bass, Drums, E-Gitarre, Synthesizer) ist die Komposition kurzweilig und funktioniert trotz der vielen Tracks von oftmals einer bis zwei Minuten bestens. Schade gibt es bisher keine CD, aber was nicht ist, kann ja noch werden – oder die Musik taucht dann plötzlich als LP irgendwo auf. Abzüglich der beiden Songs (zum Schluss ist Bon Iver zu hören), verbleiben 50 Minuten Score.

Phil


CLARET
Oscar Martín Leanizbarrutia, Stellarum Films

Das Biopic CLARET (2020) von Regisseur Pablo Moreno erzählt die Lebensgeschichte von Antonio Maria Claret. Padre Claret, als der er von der Mehrheit erinnert wird, hat Mitte des 18. Jahrhunderts in Spanien den religiösen Orden der «Misioneros Hijos del Inmaculado Corazón de María», gemeinhin Claretiner genannt, gegründet und gilt heute als einer der grossen religiösen Führer und Gelehrten seiner Zeit. Die traumhafte Filmmusik für dieses Biopic schuf der spanische Komponist Oscar Martín Leanizbarrutia. Das Hauptthema zählt für mich zu den berührendsten Kompositionen des Jahres 2021.

Besagtes Hauptthema eröffnet das Soundtrack-Album mit dem knapp 7-minütigen Claret, tema principal. Dort erlangt es nach einer einfühlsamen Erstdarbietung auf dem Cello unter anderem richtiggehend epische Wucht mit Orchester und Chor. Das Stück markiert sogleich auch das Highlight dieser Filmmusik, wobei der Komponist dieses betörende Thema in der Folge in zahlreichen Variationen präsentiert – vermehrt in verschiedenen intimen Soli-Darbietungen statt in der anfangs präsentierten Epik.

Neben den schönen Cello-Darbietungen des Ohrwurm-Hauptthemas wird dieses im letzten Albumdrittel auch von Violinist David Martinez kraftvoll aufgegriffen. Hier schimmert denn auch ein bisschen der Einfluss von Ennio Morricone durch, dessen Musik zusammen mit jener von Hans Zimmer von Regisseur Moreno als Hauptinspirationsquelle für die CLARET-Filmmusik herangezogen worden sei. Auch sakral anmutender Sologesang schafft herrliche Akzente. Das 7-minütige Finale mit den Stücken La Revolución und Exilio de la Reina lassen das Hauptthema nochmals durch alle Register wandern, wenn auch stets zurückhaltend und melancholisch. Für Liebhaber unverblümt emotionaler Filmmusik dürfte CLARET ein Juwel des Soundtrack-Jahres 2021 sein.

Basil


19.02.2022