The Winslow Boy

Review aus The Film Music Journal No. 25, 2001

Es paßt ins Bild, daß David Mamets THE WINSLOW BOY mit über einem Jahr Verspätung in die hiesigen Kinos kam und sich nur für kurze Zeit darin hielt. Vom Verleih zurückgehalten, schlecht beworben, entpuppte er sich als nachdenkliches Kammerspiel, in dem fast alles an den großartigen Akteuren hing: Nigel Hawthorne, Jeremy Northam und Rebecca Pidgeon tragen ein moralisches Drama von großer Intensität.

Weil sein Sohn unter falschem Verdacht aus dem Militär ausgestoßen wurde, zettelt der von Hawthorne gespielte Vater ein Gerichtsverfahren an, mit dem Ziel, die Reinigung des befleckten Namens seiner Familie zu erreichen. Die völlige gesellschaftliche Ächtung der Familie kann erst in letzter Minute und dank der Hilfe eines genialischen Anwalts vermieden werden. Auf einer zweiten Ebene reflektiert Mamets Film die puritanischen Konventionen der britischen Gesellschaft, indem er zeigt, wie die emanzipierte Tochter und der chauvinistische Anwalt einander immer näherkommen und doch keinen Weg finden, sich ihre Liebe zu gestehen. So bleibt es bei Andeutungen und einer ebenso erotischen wie subtil gedämpften Abschiedsszene, darstellerisch der einsame Höhepunkt des Kinojahres 2000.

Ein solcher Film benötigt keine klangstarke Musik, sondern eine behutsam Atmosphäre schaffende, zwischen den Bildern lesende Untermalung. Und man wird sagen dürfen, daß Alaric Jans der Aufgabe vollauf gerecht geworden ist. Ein kleines Orchester intoniert ernste, meist elegische Melodien mit lang ausgehaltenen Tönen, bei denen es auf jedes Detail ankommt. Kurze wiederholte Paukenschläge, ausgreifende Horngesten, vor allem aber die wechselnden Streicherfelder prägen die Wirkung dieser Musik. Ihren historischen Bezugspunkt hat sie, der erzählten Welt entsprechend, in der englischen Orchestersphäre des frühen 20. Jahrhunderts. Das Hauptthema ähnelt wohl auch nicht unbeabsichtigt den «Enigma Variations» von Edward Elgar, ohne doch aufdringlich in dessen Spuren zu wandeln. THE WINSLOW BOY ist mit einer guten halben Stunde auf CD vertreten, wobei alle wichtigen Stücke berücksichtigt sind. Wer zuvor bombastische oder schwelgende Soundtracks gehört hat, sollte sich vor Beginn dieser auf leisen Sohlen daher kommenden Komposition entsprechend ausrichten. Ihre wirklichen Schönheiten entbirgt sie wirklich erst bei mehrmaligem Hören, wenn auch der Hörer zu seinem Puls gefunden hat.

Matthias  |  2001

THE WINSLOW BOY

Alaric Jans

DRG

36:56 | 20 Tracks