Ein Wigwam steht in Babelsberg

Review aus The Film Music Journal No. 20, 1999

Endlich gibt es sie auf CD -die Musik aus den DEFA-Indianerfilmen. Leider muss ich einschränken, dass es sich lediglich um zwei Scores der insgesamt zwölf Filme handelt. Um auf eine akzeptable Länge des Tonträgers zu kommen, und um die Interessengemeinde zu erweitern, wurde der Silberling mit einigen Songs, die nichts mit Filmmusik zu tun haben, aufgefüllt. Ich weiß, für Filmmusikpuristen, zu denen ich mich ja auch zähle, ist das eher ein Graus. Aber hier muss ich mal ein Auge zudrücken. Es handelt sich um vier Titel, die der Hauptdarsteller der Filme Gojko Mitic interpretiert, und drei Stücke, die sich auf humorvolle oder romantische Weise mit dem Thema DEFA-Indianerfilm auseinandersetzen.

Alle sind sicher Raritäten und für viele eine schöne Erinnerung: eine Zeit als DEFA-Indianertfilme die Kinoleinwände bevölkerten und scharenweise ein vorwiegend jugendliches Publikum in die DDR-Kinos lockten.

Desweiteren enthält die CD den Titelsong «Love Your Brother» zum Film BLUTSBRÜDER, komponiert und interpretiert von Dean Reed und das Thema zum Film SEVERINO von Günther Fischer. Das SEVERINO-Thema ist aber stark von Morricone abgekupfert, das hat ein Komponist wie Fischer eigentlich nicht nötig.

Aber kommen wir nun zum Besten, was die CD zu bieten hat. Das sind jeweils knapp 20 Minuten aus den Scores zu DIE SÖHNE DER GROSSEN BÄRIN aus dem Jahre 1966 und CHINGACHGOOK, DIE GROSSE SCHLANGE von 1967, komponiert von Wilhelm Neef. Was Wilhelm Neef für diese Filme komponiert hat, ist einfach großartig, leider ist die Musik nie so populär geworden wie Böttchers WINNETOU-Musiken. Aber sie ist keineswegs schlechter, ganz im Gegenteil, ich halte die Musik sogar für beachtlicher. Neef arbeitete mit einem großen Orchester und schuf für DIE SÖHNE DER GROSSEN BÄRIN ein herrliches, von Streichern und Bläsern getragenes Hauptthema, das von Pauken begleitet wird und den Stolz der Indianer und die großartige Landschaft gleichermaßen widerspiegelt. Abgewandelt erklingt das Thema mit Flöten, verhaltenen Streichern und sanften Pauken einfach traumhaft. Ein schleppendes, tieftrauriges Thema, welches von der Trompete dominiert wird, unterstützt durch Streicher und wiederum Pauken, spiegelt die Leiden des indianischen Volkes und kündet seinen unausweichlichen Untergang an.

Da es sich um einen Western handelt, darf natürlich auch die Actionmusik nicht fehlen. Auch dafür fand Neef den richtigen Ton, er ließ sich etwas ganz Besonderes einfallen. Ein furioses Trompeten-Solo, welches von Schlagzeug, Posaunen, Saxophon, Bassgitarre und Synthesizer begleitet wird. Die Instrumentierung ist für damalige Zeiten sehr experimentell und gewagt, aber ein gelungener Ohrenschmaus, der im europäischen Western seinesgleichen sucht. Der Score enthält auch noch einen «Saloon Song» und den herrlich melodiösen Song «Missouri», ebenfalls von Wilhelm Neef.

Der Score zu CHINGACHGOOK, DIE GROSSE SCHLANGE ist ebenfalls für grosses Orchester geschrieben und enthält wiederum grossartige Bläser- und Streicherarrangements. Auch Gitarren und Perkussion spielen wieder eine Rolle sowie Flöten und eine Mundharmonika. Ein traumhaftes Liebesthema und auch gute Spannungs- und Actionmusik sind zu hören. Auch dieser Score enthält zwei Songs, die allerdings im Film so nicht vorhanden sind, «Der große Strom» im Film nur instrumental und «Dazwischen».

Die Aufnahmen sind für eine damals erschienene Amiga-Schallplatte vom Rundfunkorchester Leipzig eingespielt und nicht direkt aus dem Film, daher ergeben sich vor allem bei CHINGACHGOOK, DIE GROSSE SCHLANGE Abweichungen zur Originalmusik. Die Musiken von Wilhelm Neef sind insgesamt prächtige Kompositionen, die in satten Orchesterpassagen gleichermassen überzeugen, wie auch in originellen Instrumentationen und mit wunderbaren Melodien. Eine CD, die ich allen Filmmusikfans wärmstens empfehlen möchte, und, liebe Leser, lasst euch nicht durch die Songs abschrecken, der Scoreanteil lohnt die Anschaffung allemal.

Ronald  |  1999

EIN WIGWAM STEHT IN BABELSBERG
Wilhelm Neef
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64:42 | 22 Tracks