James Oliver Rigney, Jr. (1948–2007) war ein amerikanischer Schriftsteller, der unter Pseudonymen wie Robert Jordan, Reagan O’Neal, Jackson O’Reilly und Chang Lung Geschichten publizierte. Zu seinen bekanntesten Werken – veröffentlicht unter dem Pseudonym Robert Jordan – zählt der epische Fantasy-Romanzyklus «The Wheel of Time». Im Original erstreckt sich dieser über 14 Bände. Im deutschsprachigen Raum erschien das umfassende Werk als «Original»-Übersetzung ebenfalls in 14 Bänden sowie in einer Taschenbuch-Version, die auf 37 Bände «zerteilt» wurde – wieso auch immer. Auf tausenden Seiten erzählt Jordan die Geschichte einer Frau namens Moiraine. Sie kreuzt den Weg von fünf jungen Männern und Frauen und schickt diese auf eine weltumspannende Reise. Dabei erwartet die Helden wider Willen viel Mystik, Magie, gefährliche Kreaturen und Abenteuer. Ein solches Setup schreit förmlich nach einer opulenten Verfilmung und Amazon folgte dem Ruf. Mit Erfolg: Die acht Folgen der ersten Staffel von THE WHEEL OF TIME (2021) wurden Ende 2021 ausgestrahlt und die TV-Serie avancierte sogleich zur meistgeschauten Amazon-Serie desselben Jahres. Die 2. Staffel soll 2022 folgen und in Anbetracht der ausschweifenden literarischen Vorlage dürfte an diesem «Rad der Zeit» noch sehr lange gedreht werden, sofern es denn auch profitabel bleibt.
In Sachen Filmmusik konnten die Macher den Komponisten Lorne Balfe gewinnen. Während sich THE WHEEL OF TIME optisch und hinsichtlich der erzählten Geschichte als Mischung aus THE LORD OF THE RINGS (2001–2003), GAME OF THRONES (2011–2019) und THE WITCHER (seit 2019) präsentiert, tendiert Lorne Balfes Musik meiner Meinung nach deutlich Richtung Sonya Belousova & Giona Ostinellis THE WITCHER. Im Vorfeld der Kompositionsarbeiten soll Rafe Lee Judkins, der leitende ausführende Produzent dieser TV-Serie, für Balfe Musik zusammengestellt haben, welche sich Judkins während den Schreibarbeiten für die Serie angehört hat. Stilistisch reichte diese Playliste von Bluegrass über Folk bis hin zu «Southern Gothic» (nicht zu verwechseln mit dem literarischen Genre Südstaaten-Gotik). In den Worten von Judkins schuf Lorne Balfe in der Folge «something wholly new. Something I’ve never heard before.» Ich mag diesem Verdikt nicht ganz zustimmen, zumal mich THE WHEEL OF TIME in Bezug auf die Songs und den Score definitiv an WITCHER-Klänge und weniger lyrische Momente aus Bear McCrearys OUTLANDER-Musik erinnern – teils mit einem Schuss Enya-Esoterik. Dennoch entpuppte sich THE WHEEL OF TIME und insbesondere das Songs-Album THE FIRST TURN als Überraschung – vom Score sind bis dato drei «digital only»-Alben mit insgesamt gut zwei Stunden Musik erschienen. THE WHEEL OF TIME: THE FIRST TURN präsentiert 14 Songs, die Balfe komponiert hat und deren Song-Texte von Naomi Todd in altertümliche Fantasy-Sprache übersetzt wurden (Balfe nennt diese Sprache im Booklet «Old Tongue»). Das Ensemble setzte sich gerade mal aus zehn Musikerinnen und Musikern zusammen. Für den Gesang – nur in wenigen Fällen wortlos – zeichnen gut ein Dutzend Sängerinnen und Sänger verantwortlich. Jeder Song erzähle die Geschichte einer Figur, eines Ortes, oder einer prägenden Idee dieses Fantasy-Universums, führt Balfe im Booklet-Text aus. Dabei habe er bewusst auf farbliche Kontraste zwischen Frauen- und Männerstimmen gesetzt, wobei die Frauenstimmen zahlreicher sind, da in der TV-Serie selbst scheinbar auch die starken Frauenrollen dominieren würden.
Wer also etwas Ähnliches wie Lorne Balfes Musik für die HBO-TV-Serie HIS DARK MATERIALS (2019–2022) erwartet, wird wohl enttäuscht werden. So wie ich, zumal ich Balfes Arbeit für MATERIALS unterhaltsamer, abwechslungsreicher und lyrischer fand – klar, THE WHEEL OF TIME kann sich allenfalls noch in viele interessante Richtungen weiterentwickeln. Das Song-Album THE FIRST TURN ist mir während der Laufzeit von knapp einer Stunde stilistisch trotz überraschenden Ideen zu repetitiv ausgefallen und mit den überwiegenden Gothic- und Nordic-Rock-Stilismen auf die Dauer zu kratzbürstig. Auch vermisse ich sich hervortuende, anführende Musikthemen, die dann auch nachhallen würden. Nach dem Hören des Song-Albums und des Scores stellt sich ein Gefühl der Ermattung und «Unterkühlung» ein. Letzteres dürfte gut zur Serie passen, verliert aber in der vorliegenden Präsentation seinen Reiz.
Basil | 02.02.2022
THE WHEEL OF TIME: THE FIRST RUN
Lorne Balfe
Milan Records
52:02 | 14 Tracks