Walzer, Marsch und Teufel: Musik zu Thomas Mann Filmen / Musik für Film und Fernsehen 1950 – 2000

Review aus The Film Music Journal No. 28, 2002

Musikhistorisch gebildete Akademiker, das lehrt die Erfahrung, äußern nur in kleiner Zahl Interesse an Filmmusik, obwohl hinzuzufügen ist, daß im privaten Gespräch doch manchmal Hoffnung aufschimmert und zumindest bestimmte Komponisten wahrgenommen werden. In offiziellen Musikgeschichtsbüchern wird der Filmmusik hingegen nur eine Nische eingeräumt. Und um einen Einblick in verbreitete Denkstrukturen zu bekommen, genügt die Lektüre des Booklets zur zweiten hier angezeigten CD. Da quasselt mit Wolfgang Thiel, einem erfahrenen, doch zur Moralpredigt neigenden Hochschuldozenten, einer der es besser wissen müßte: über den üblen Kapitalismus der Filmindustrie und die ästhetische Rückständigkeit der Filmmusik. Kein Wunder, daß er sich schwer getan hat bei seiner Suche nach einer repräsentativen Auswahl.

Immerhin paßt der Rahmen. Im Auftrag des deutschen Musikrates erscheint eine Serie von ca. 150 CDs mit Musik, die sich anheischig macht, die deutsche Musik der letzten fünfzig Jahre zu vertreten. Natürlich, da gibt es 11 CD-Boxen mit je 5-10 CDs (!!!) zur Avantgarde im Konzertsaal, 4 für das Musiktheater, und sage und schreibe je eine für Jazz, Pop, Elektronik und die Schublade «Angewandte Musik», worunter Musik in Sprechtheater, Radio, Film/TV, Kirche und Musikpädagogik fallen. Die am meisten verbreitete Popmusik erscheint also nur am Rande, da dürfen sich Soundtrackfans nicht beschweren. Zwei CDs widmen sich der Filmmusik, wobei einmal eine breite stilistische Streuung und einmal eine thematische Bündelung zustande gekommen ist.

Angesichts der Herausgeberschaft des Musikwissenschaftlers Hermann Danuser überrascht die Wahl des Themas «Thomas-Mann-Verfilmungen» mitnichten. Glücklicherweise muß man seine Vorliebe für diesen Schriftsteller nicht teilen, um die CD zu goutieren. Daher zunächst zum Sorgenkind der Edition, dem thematisch losgelösten Sampler WALZER MARSCH UND TEUFEL 1950-2000, als dessen wesentliches Auswahlkriterium Thiel «eine erkennbare Nähe und Wechselbeziehung der jeweiligen ‘angewandten’ Komposition zur ‘autonomen’ zeitgenössischen Kunstmusik» anpreist. Dem Fachjargon entkleidet, will dies folgendes besagen: Unter «autonomer» Musik versteht man jene Musik, die ohne funktionales und kommerzielles Umfeld für sich erscheint, aus rein künstlerischen Erwägungen also, und ohne Rücksicht auf den Publikumsgeschmack. Dementsprechend soll Filmmusik, so sie schon auf den Filmkontext Rücksicht nehmen muß, wenigstens in musikalischer Hinsicht neue Wege beschreiten.

Mancher Theoretiker hat bereits dieser Richtung das Wort geredet, als es um Empfehlungen für qualitätvolles Filmkomponieren ging. Denn nur wer sich am historischen «Stand des musikalischen Materials» und zeitgenössischen Kompositionstechniken orientiere, sei überhaupt der Rede wert. Unter solchen Voraussetzungen kann die getroffene Auswahl nicht wirklich überraschen. Die Namensequenz läßt durchaus wohlfeile Partituren erwarten: Hanns Eisler, Hans-Martin Majewski, Paul Dessau, Peer Raben, Karl-Ernst Sasse, Violeta Dinescu oder auch Norbert Jürgen Schneider sind Könner ihres Fachs, und auf Werke weniger bekannter Kollegen wie Günter Kochan, Wolfram Heicking oder Lutz Glandien kann man sich ja einlassen. Dagegen mutet die Auswahl von knapp 80 Minuten Musik aus 17 Filmen unterschiedlicher Richtungen fragwürdig an, da man sich binnen weniger Minuten völlig umorientieren muß und nicht recht weiß, was diese Auswahl nun besagen soll. Dies sei die Drehscheibe mit den wichtigsten, gehaltvollsten deutschen Filmmusiken nach 1945? Eine lachhafte Vorstellung, so interessant viele Beiträge auch sein mögen. Da ist etwa Hanns Eislers DER RAT DER GÖTTER, eine sechsminütige Suite aus dem gleichnamigen DEFA-Streifen. Das soll, glaubt man Herrn Thiel, eine der «wenigen, in ihrer emotionalen Kraft und satztechnischen Meisterschaft» herausragenden Filmpartituren ihrer Zeit sein, da sie Faßlichkeit und Modernität miteinander verbinde.

Selbstredend sind nicht nur Spielfilme, sondern auch Experimentalproduktionen vertreten, ohne daß sich aus Werken wie Dessaus kauziger Musik zu 400cm3 (1967) eine besondere Qualität erschließen würde. In gleicher Weise könnte man die Auswahl der übrigen Werke hinterfragen und ihre stilistische Richtung kommentieren. Doch sollte sich der aufgeschlossene Hörer angesichts des um 10 Euro angesiedelten Preises ein eigenes Hörbild verschaffen. Meines Erachtens ist dieser Sampler jedoch der verquasten Überzeugungen ihres kommentierenden Betreuers wegen nur im Zustand besonderer Euphorie zu ertragen. Vor diesem Hintergrund stellt die Sammlung WALZER, MARSCH UND TEUFEL mit Musik zu Thomas-Mann-Filmen schon einen Fortschritt dar, zumal Claudius Reinke nicht gar so betonköpfig argumentiert wie Thiel.

Das vergleichsweise geringe Niveau des deutschen Films zwischen 1945 und 1970 ist nicht zu leugnen, ohne daß man deshalb die Mitwirkung an einem Heimatfilm dem Komponisten von vornherein ankreiden dürfte. Ist aber der Name des bekanntesten deutschen Schriftstellers im 20. Jahrhundert bereits hinreichend, um die Musik zu den Realisationen. seiner Werke zu nobilitieren? Das wäre, unabhängig von der thematischen Bündelung, mein Einwand gegen die Zusammenstellung von Musik aus acht Thomas-Mann-Produktionen. Auch hier sind Majewski und Knieper mit hörenswerten Kompositionen vertreten, die eher ihre moderate Seite vertreten.

Überhaupt ist diese Anthologie auch etwas für den an traditioneller Orchestermusik haftenden Sammler, für den gleich der herrliche «Chrysantemen-Ball» aus der BUDDENBROOKS Verfilmung von 1957 ein sicherer Hafen sein wird. Werner Eisbrenner ist zwar weniger bekannt als Majewski, Böttcher oder Sasse, aber unbedingt ein großer Könner seines Fachs, der schon in der Nazizeit gearbeitet hatte und hier zu opulenten Walzerklängen fand. Das Remake mutierte zur Serie (1978), die mehrfach im Fernsehen gelaufen ist und heute betulich wirkt. Das gilt aber keinesfalls für Eugen Thomass› romantisch aufgeschwemmten Score, der sich eines recht großen Ensembles bedienen durfte und in drei Tracks für sich einnimmt. Kniepers mit fünf hochexpressiven Cues vertretener Beitrag zum ZAUBERBERG (1981) folgt in seinen Reizdissonanzen zwar der großen Tristan-Tradition, ist aber über weite Strecken eigenständig instrumentiert, wobei vor allem die starken Gewichte in der Orchestertiefe aufhorchen lassen. In den ausgehaltenen, von Harfenarpeggien umspielten Akkorden klingt ein zunächst überraschender «deutscher» Herrmann-Sound mit. Der Amerikaner hätte diese morbide Fabel zweifellos geschätzt.

Während Christian Brandauers perkussive Schlußmusik zu MARIO UND DER ZAUBERER nur als Idee überzeugt, stellen Rolf Wilhelms vier Beiträge das Zentrum dieser CD dar und erweitern das stilistische Spektrum seiner erhältlichen Musik, die auf Tonträgern bislang entweder komödiantische oder spätromantische Vorlieben bedient hat. In der Partitur zu DOKTOR FAUSTUS (1972) gelang es Wilhelm, den Wagner-Strauss-Sound einmal mehr zu meiden und unter Einbeziehung eines Countertenors auf avanciertere Mittel und sogar Reihentechniken zurückzugreifen, womit er die Thematik des musikbezogenen Romans auf eigenständige Weise umsetzte. Trotzdem sollte sich niemand abschrecken lassen, denn Wilhelm schreibt niemals dröge-unsinnliche Werke, wie sie im Namen der ästhetischen Raison so manchem Webern-Nachfolger unterlaufen sind.

Auch in TONIO KRÖGER (1964) hört man eingängliche Musik, in der Wilhelms außergewöhnliches Gespür für melodische Anmut durchscheint. Die im Booklet monierte Abhängigkeit des Finalthemas von Chopin ist über einige Klavierfiguren hinaus kaum einzusehen; genauso gut hätte man das Klavierhauptthema aus Schumanns Konzert als Vorlage benennen können. Für die Hörprobe des Stücks Strandwanderung wiederum stelle man sich ein Dreieck vor, dessen Anteile für das Eingangsthema aus Mendelssohns „Schottischer» Symphonie sowie Griegs Solvejg-Musik und drittens Wilhelms eigenen, in Richtung Sibelius tendierenden «nordischen» Tonfall einstehen. Was als Bläserchoral beginnt, steigert sich binnen dreier Minuten zur großen Streicherklage.

Angesichts solcher Meriten – aus Platzmangel nur punktuell erfaßt – kann ich den Mann-Sampler enthusiastisch empfehlen, während für den anderen Silberling das „Hüte dich vor dem Hund!»-Schild aufgestellt sei. Deren durchaus anhörbare Einzelteile sind in ihrer denkbar unsinnigen Kombination dem fehlgeleiteten Ehrgeiz eines Musikverwalters anheimgefallen. Ein neuerlicher Bärendienst für das Faszinosum Filmmusik. Sie wird auch das überstehen.

Matthias | 2002

Walzer, Marsch und Teufel: Musik für Thomas-Mann-Filme

Ärgerlich!
Musik für Film und Fernsehen 1950 – 2000

WALZER MARSCH UND TEUFEL: MUSIK ZU THOMAS MANN FILMEN
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75:49 | 21 Tracks

 

 

 

 

MUSIK FÜR FILM UND FERNSEHEN
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