Review aus The Film Music Journal No. 12, 1997
Wie kann man über das Warten in der Musik schreiben? Was verbirgt sich hinter dem Titel «Waiting», einem fünfminütigen Spannungsstück aus THE NAKED FACE (1984) von Michael J. Lewis? Wer vergleichbare Kompositionen des Briten in Erinnerung hat, THE MEDUSA TOUCH etwa, wird sich in diesem «neobarocken» Score rasch zurecht finden.
Die Mischung aus stehenden Streicherfeldern und vorwärtsgetriebenen Ostinati klingt vertraut und typisch für Lewis. THE NAKED FACE, ein mittelprächtiger Thriller mit Roger Moore, wirkt gleich so vielen Filmen der frühen Achtziger leicht angestaubt, und leider gilt dies auch für die Art und Weise, in der Lewis seine orchestralen Finessen mit prähistorischer Elektronik behindert. Phasenweise fühlt man sich auf einer Discofläche des Jahres 1980, nachdem gerade die Bee Gees zum Abtanzen geladen hatten. So lange diese «Zusätze» ausbleiben, profiliert sich die Musik durch ihr eindringliches, zwischen Ernest Gold, Ennio Morricone, Vladimir Cosma und sogar QB VIl vermittelndes Hauptthema, welches leider in meist derselben Tonart gespielt wird, wodurch sich der harmonische Trugschluß nach D zu schnell abnutzt. Auch seine auf Wiederholung angelegte Struktur, zum «Fade Out» tendierend, fügt sich bestens in den Zeitkontext der Dekade ein. Trotz solcher Einschränkungen vermag die «B-Seite» der fünften Lewis-Promo-CD durchaus zu gefallen.
Während sie in ihren thematischen Melismen ein südliches Flair ausbreitet, steckt selbiges auf andere Weise auch in UNMAN, WITTERING AND ZIGO (1971), hier mit 19 Minuten verteten, aber spannender als die meisten Varèse-Halbstünder. Des Films um eine ihre Lehrer massakrierende Schulklasse kann ich mich nicht entsinnen, aber die Musik besitzt so viel Spannkraft, daß man in diesem Fall auf den Filmkontext nicht angewiesen ist. Unman gehört inmitten der unsäglichen Siebziger zu den herausragenden Partituren, was vor allem Lewis’ Instrumentationskunst zu danken ist. Der mediterrane Touch beruht auf dem «Spaltklang», d.h., es wird nicht angestrebt, die Instrumentalfarben zu bündeln, um als Ergebnis mehr als die Summe der Anteile zu erhalten. Im Gegenteil sucht Lewis hier nach Transparenz, will jedes Instrument einzeln hörbar machen. Weil das gelungen und leidenschaftlich eingespielt ist, kann man sich entweder rein genießend dem kammermusikalischen Prunk oder aber mitverfolgend dem feinziselierten Formenspiel überlassen, ohne nach dreimaligem Durchlauf zu ermüden.
Welch ein Glück für den Filmmusikfan, daß die Lewis-Promos nun greifbar sind. UNMAN, WITTERING AND ZIGO leuchtet als Juwel unter ihnen. Und jetzt bitte noch JULIUS CAESAR!
Matthias | 1997
UNMAN, WITTERING AND ZIGO / THE NAKED FACE
Michael J. Lewis
Promo
50:05 | 27 Tracks