«Die Zeit vergeht unglaublich schnell – ganz besonders, wenn man von ihr mehr benötigen würde.» Dies gab James Horner in einem Interview für die Zeitschrift Cinéfonia im Jahr 2004 auf die Frage zur Antwort, welches seine Achilles-Ferse während der Arbeit an TROY (2004) gewesen sei. Bekanntlich hatte Horner die Musik zu Wolfgang Petersons Epos innert gerade mal rund vier Wochen komponieren müssen – als Ersatz für die verworfene Musik von Gabriel Yared. Zeit war also ein knappes Gut, doch Horner und seinem Team gelang dennoch eine kraftvolle, thematische Filmmusik für Orchester, Chor, Sologesang und viel Perkussion.
Als der «Rush Job» 2004 auf CD erschien, wurde dieser überwiegend kritisch bewertet und viele forderten nachträgliche Gerechtigkeit für Yared, indem seine Musik auch veröffentlicht werden solle. Sowie der Film die Kinokassen nicht im gewünschten Masse klingeln liess, so verschwand auch Horners Filmmusik nach dem Entrüstungssturm um Yared recht schnell und «leise» aus den Playlists. Weniger die Musik als deren Entstehungsgeschichte gab zu reden.
Mit der durchaus überraschenden, jedoch willkommenen 2-CD-Neuauflage dieser Musik durch das Speziallabel Intrada Records kommt dieser beachtlichen Arbeit von James Horner und seinem Team wieder etwas mehr Aufmerksamkeit zu – wohlverdient, wie ich meine. Dazu kommt, dass ein informativer Booklettext und – im Speziellen – die zeitgleiche Veröffentlichung eines sehr ausführlichen Interviews mit James Horner zu seiner Arbeit an TROY (in englischer Sprache; Übersetzung des 2004 in Cinéfonia auf Französisch veröffentlichten Originalmanuskripts) den Aufwand hinter dieser Filmmusik imposant ausleuchten. Mit diesen (neu) verfügbaren Informationen und der zusätzlichen Musik – gut 40 Minuten – kann man TROY tatsächlich mit neuen Ohren hören, und damit dürfte ihr manch einer allenfalls auch mehr Wertschätzung entgegenbringen.
Zugegeben, die hier neu präsentierte, zusätzliche Musik alleine wird Kritiker dieser Horner-Arbeit kaum umstimmen können, denn damit gewinnt die Musik nicht an substanziellen neuen Facetten und Sensibilitäten. Das Album von 2004 hat die Tonalität gut aufgezeigt und die Highlights enthalten. Was den Mehrwert dieser Produktion ausmacht, ist die besser abgemischte Dynamik (das alte Album wechselte von sehr lauten zu sehr leisen Passagen, was konstantes Regulieren der Lautstärke notwendig machte), die stimmigere Narratologie dank der Programmierung der Stücke gemäss der Filmsynopsis und die erwähnten, neu verfügbaren Ausführungen zur Musik.
Entgegen allen Unkenrufen besitzt TROY einen starken, individuellen Klangcharakter innerhalb des Oeuvres von James Horner. Nur weil Horners charakteristisches Vier-Ton-Gefahrenmotiv sehr präsent ist, kann die Musik nicht einfach als Copy-Paste-Arbeit früherer Werke abgekanzelt werden. Der Einsatz des bulgarischen Chors, des Solo-Gesangs von Tanja Tzarovska, der ausserordentlich präsenten Perkussion und der atypischen Rhythmik und Metrik, des scharfen Blechs und der häufigen harmonischen Polyphonie geben TROY durchgehend einen individuellen Klang. Es gibt durchaus zahlreiche Arbeiten von Horner, in denen man sich stellenweise nicht eindeutig sicher ist, zu welchem Film dieses Stück nun geschrieben wurde – doch im Falle von TROY ist eine Verwechslung mit anderen Arbeiten zu kaum einem Zeitpunkt gegeben. Neben diesen klanglichen und stilistischen Alleinstellungsmerkmalen trumpft diese Arbeit mit einem wirklich tollen, heroischen wie melancholischen Hauptthema für Achilles – Horner: «Suggest legend, express beauty» – und einem schönen Liebesthema für Briseis und Achilles. Dazu eine kraftvolle, eingängige Fanfare für Troja und die Präsentation der Musik in zahlreichen, langen Kompositionen, die nicht zuletzt aus handwerklicher Perspektive eine wirklich grosse Faszination ausstrahlen – das Duo «The Wooden Horse» und «The Sacking of Troy and End Credits» ist wahrlich eine epische Tour-de-Force mit lyrischem Finale. Auch hier kommt Tzarovskas Gesang eine Schlüsselrolle zu. Horner: «Sie ist die Seele der Musik zu TROY. Sie spielt in der Musik die Rolle von Briseis, die um Achilles trauert. Sie transformiert Achilles’ Unsterblichkeit als Krieger – das Brass-Thema für Achilles – hin zum intimen, menschlichen Charakter am Ende des Films. Sie enthüllt Achilles zum Ende hin als verletzliche Person, die trotz aller Kunst des Tötens zu Lieben fähig ist. Das Filmfinale fokussiert auf Briseis. Dieser Fokus ist die Essenz der Tragödie und der Erlösung in all ihrer Pracht und der Beginn der Odyssee, der Odyssee, die zu anderen Göttern führt. Helen mag eine sehr schöne Frau sein, Paris mag von der Liebe geblendet sein, aber der einfache Blick auf Briseis› Gesicht lässt den Zuschauer die Ilias aus der Sicht von Achilles verstehen, und es ist eine fesselnde und poetische Sichtweise.»
Das 2-CD-Set von TROY ist eine schöne Veröffentlichung geworden. TROY ist nicht Horners beste Arbeit, doch die Musik in dieser neuen Präsentation nochmals – neu – entdecken zu können und dazu die wirklich spannenden Ausführungen von James Horner im Booklet und im genannten und stellenweise zitierten Interview zu lesen, lässt diese Arbeit in einem eindrücklicheren Licht erscheinen als damals 2004. Und dies steht ihr zu, denn was Horner und sein Team innerhalb der wenigen verfügbaren Zeit und dem hohen Druck während der Post-Produktion dieses millionenteuren Blockbusters geschaffen und entfesselt haben, ist beeindruckend und als Hörerlebnis abwechslungsreich, mitreissend, berührend und faszinierend. Intradas Veröffentlichung hat in meinem Falle die Wertschätzung für diese Filmmusik weiter gesteigert, womit sich die Special-Collection-Präsentation als absolut lohnend entpuppt hat.
TROY (expanded Intrada) James Horner Intrada Records 2 CDs: 118:57 Min. / 28 Tracks
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