Review aus The Film Music Journal No. 22/23, 2000
William Shakespeares TITUS Andronicus ist wohl mit Abstand eines seiner meist umstrittensten Schauspiele. Julie Taymor hat den Stoff nun nach einer erfolgreichen Bühnenshow ebenfalls für den Film adaptiert. Musikalisch zur Seite stand ihr dabei ihr Ehemann Elliot Goldenthal. So umstritten wie das Schauspiel ursprünglich war (und in diversen Kreisen auch noch immer ist), so werden sich die Kritiker in Scharen auf die aggressive Vertonung Goldenthals stürzen. Wieso aggressiv?
Der Komponist wagt die unheimlich schwierige Gradwanderung zwischen Vergangenheit und Gegenwart -oder können Chor, elektrische Gitarre und Big Band Sound unterschiedlicher sein? Wie in seinen vorangegangenen Werken hat Goldenthal es auch hier wieder meisterhaft verstanden, die Bandbreite brutal zu erweitern. Ist «Victorius Titus» ein heldenhafter Chor, eingänglich und relativ leicht dem Publikum zugänglich, so ist «Procession & Obsequis» bereits eine Stufe unwirklicher. «Victorius Titus» erinnert an klassische Werke, «Procession & Obsequis» an das zweifelhafte kurze Leben der Filmmusik. Spärlich orchestriert, aber mit einer Knabenstimme à la ALIEN 3 ausgestattet, ist der Cue spannend und entgleitet dem Zuhörer langsam aber sicher. «Revenge Wheel» ist da wieder direkt und bösartig. Streicher setzen einen schier unermüdlichen Takt, während die Blechbläser sich rühren und uns die Rache und Boshaftigkeit eines solchen Instrumentes so richtig spüren lassen. Ab «Tribute & Suffrage» schwenkt TITUS dann endgültig in eine neue Richtung ein. Hören wir zu Beginn noch eine verhaltene Gruppe Streicher, so übernehmen plötzlich die Blechbläser mit einem coolen Big-Band Sound das Bild. Erinnerungen an BATMAN FOREVER werden kurz wach, nur ist hier die Musik durchdringender, mit einem hypnotischen Touch à la Badalamenti. Der Track zügelt sich dann aber genauso rasant, wie er ausgebrochen ist – das Orchester mit Streichern, Harfe und Holzbläsern lässt uns den Schmerz der Suffrage erdulden.
«Arrows of the Gods» kehrt scheinbar zum Pomp zurück, ist aber ein reich orchestriertes Stück Arbeit. Dicht aneinandergedrückt bilden die Streicher und 63 CD-Kritiken Bläser einen rollenden Klangteppich dar. Während die drei folgenden Tracks in der Hauptsache den klassischen Körper weiter ausbauen, so springen wir mit «Swing Rave» jäh in die Welt der Big Band zurück. Mit einem frechen Beat und rotzigen Blechbläsern jagt Goldenthal hier den Zuhörer auf neue Bahnen. Wie schon auf früheren Score CDs vom Komponisten bemerkt (siehe Interview), setzt er auch in TITUS einen Cue aus einem älteren Werk ein. Dieses hören wir in «Pressing Judgement», welches für A TIME TO KILL komponiert wurde. Es ist interessant festzustellen, dass sich in der fortwährenden Entwicklung von Goldenthals Musik auch ein älteres Stück blendend einsetzen lässt, ohne den Fluss der musikalischen Geschichte zu belasten. Nach einem grandiosen Finale, schliesst die CD mit dem leicht sarkastischen «Vivere», welches aber das Bild meiner Ansicht nach hervorragend abrundet.
Fazit: TITUS ist mit Sicherheit keine einfache Kost. Sie ist aber sicherlich die Energie eines aufmerksamen Zuhörens (hoffentlich nicht nur ein Mal) allemal wert und darf sich mit 08/15-Produkten gewisser anderer, bekannter Komponisten, welche hier aber besser ungenannt bleiben sollten, getrost zum Vergleich in Sachen Originalität und Inspiration stellen.
Steve | 2002
TITUS
Elliot Goldenthal
Sony
61:53 | 22 Tracks