Mit Sam Peckinpahs The Wild Bunch wird ein neues Kapitel des Hollywood-Westerns aufgeschlagen, weg vom Gut/Böse-Schema, hin zu Figuren, die sich alle im Graubereich fragwürdiger Moral bewegen. Man schreibt das Jahr 1913, die mexikanische Revolution und Automobile deuten auf eine Zeit des rasanten Umbruchs hin. Es ist eine Welt, die Pike Bishop (William Holden) und seiner Outlaw-Gang zunehmend fremd wird, und in der sein einstiger Partner Deke Thornton (Robert Ryan) nun dem feindlichen Lager angehört. Gerade diese zwei Charaktere sind von zentraler Bedeutung, wie auch Fielding betont: «Sams Botschaft war die realistische Darstellung des damals herrschenden Horrors, aber sowohl für ihn als auch für mich hatte die (Liebes)Beziehung von Pike und Deke Priorität.» Alles, was den Gangmitgliedern am Schluss noch bleibt, ist ihre unerschütterliche Kameradschaft, und für die gehen sie bis zum Äussersten.
Für Fielding war es wichtig, mit seinem Score ein Gegengewicht zur äusserst explizit dargestellten Gewalt zu schaffen, und er tut dies mit mexikanischer Volksmusik, die auch traditionelle Standards wie Adelita oder La Golondrina mit einbezieht. Wiederkehrende Themen wie Song From The Wild Bunch und Aurora Mi Amor überzeugen durch schmerzvolle, melancholische und romantische Darbietungen von Gitarre, Trompeten, Akkordeon und Mundharmonika. Besondere Erwähnung verdienen aber auch die Holzbläser, die einiges zu den bedrückten Stimmungen beitragen. Am anderen Ende der Gefühlsskala stehen fröhliche Mariachi-Klänge, wenn Pike und seine Männer in unbeschwerten Momenten das Leben mit Weib, Wein und Gesang in vollen Zügen geniessen.
Aber das ist nur die eine Seite dieses so stimmungsreichen Scores, denn Fielding bietet auch ordentlich Spannung, Dramatik, Action und Abenteuer. In diesen Bereichen gibt es zum Beispiel Marschtrommeln, die durch asymmetrische Taktschläge Unbehagen erwecken, das für Western atypische Zymbal, ein Banjo, dessen Klang ebenso verblasst ist wie ein altes Foto, ein Echoplex und das lauernde, absteigende Motiv für Dekes Kopfgeldjäger.
Wahre Perlen ihrer Gattung sind die rhythmisch komplexen, ebenfalls mexikanisch angehauchten Action Theme und Adventure Theme. Ein wahres Feuerwerk zündet Fielding mit diesen Themen im rund zehnminütigen Assault on the Train and Escape, wo die Musik durch unerwartete Taktwechsel Haken schlägt wie ein flüchtender Hase und die brenzligen Situationen, welche unsere Helden überstehen müssen, auf elektrisierende Art und Weise rüberbringt. Deshalb gehört die Sequenz schlicht zum Packendsten und Mitreissendsten, was der Komponist in dieser Kategorie je geschaffen hat.
Auch wenn Fielding das finale Gemetzel als «verdammtes Ballett» bezeichnete, schrieb er dafür ‒ ebenso wie für das Shoot-Out zu Beginn des Films ‒ keine Musik, denn die sich abwechselnden Zeitlupenaufnahmen und Stakkato-Schnitte sowie der akustische Kugelhagel benötigten seine Unterstützung nicht. Das Danach hingegen behandelt er sehr mitfühlend, über Dirge (wo ein elegisches, Pike zugeordnetes Thema seinen qualvollsten Auftritt hat) sagte er gar: «nie in meinem Leben empfand ich tiefer für ein Musikstück als für dieses.»
FSM präsentiert erstmals den kompletten Score zu The Wild Bunch, dieser deckt sich aber nicht hundertprozentig mit dem Film, da ein paar Vokalparts fehlen und drei Mariachi-Stücke vom Hauptprogramm in die Extras verschoben wurden (rechnet man diese hinzu, kommt man auf eine Laufzeit von etwa 87 Minuten).
Ihren Einstand feiern unter anderem ein paar zwar kurze, aber nicht ganz unwichtige Tracks wie das düstere, spannungsgeladene From Coffer to First Shoot-Out und Entrance of the General mit martialischen Trommeln und Bügelhorn-Fanfaren. Ausserdem enthalten 1st Denver Hotel und Denver Flashback nun korrekterweise ihre Banjo-Overlays, die bei der bisher ausführlichsten Veröffentlichung (Warner Home Video, ursprünglich nur als Laserdisc-Beigabe, später auch separat erhältlich) vergessen wurden oder nicht verfügbar waren.
Mit dem LP-Programm (das dank ein paar eigens dafür kreierten Tracks und der «hörerfreundlichen» Sequenzierung seinen eigenen Reiz hat) sowie jeder Menge Alternates und Demos, in denen einige Versionen von Song Of The Wild Bunchund dem als End Title dienenden La Golondrina zu finden sind, bekommt man von FSM vermutlich alles, was es von The Wild Bunch zu veröffentlichen gibt, und das dürfte für jeden Fielding-Komplettisten Grund genug sein, sich diesen Leckerbissen zu schnappen.
Aber auch wer sich nicht dazu zählt, holt sich mit diesem Set ein Prunkstück in seine Sammlung. Die Musik wirkt dank des klaren, voluminösen und detaillierten Klangs wie gestern aufgenommen, und die höchst interessanten Liner-Notes (ausführliche Track-Beschreibungen sind wieder mal nur online verfügbar) verraten unter anderem, dass wir es einem fliegenden Stuhl zu verdanken haben, dass die Musik in der Form, wie wir sie heute kennen, überhaupt zustande kam. Und so bildet der Score zusammen mit dem Film ein Gesamtkunstwerk , das allgemein als Höhepunkt im Schaffen sowohl von Peckinpah als auch von Fielding betrachtet wird.
«End Of The Line Edition» nennt FSM seine 250. und letzte Veröffentlichung, und dass es sich hierbei um The Wild Bunch handelt, passt ganz gut, denn das Label verabschiedet sich ebenso ehrenvoll wie der wilde Haufen. Von nun an fühlt sich die Welt ‒ wie bei den letzten Szenen des Films ‒ ein wenig ärmer und leerer an. Lukas Kendall und sein Team haben uns nicht nur mit ihren CDs unschätzbare Dienste geleistet, sondern waren auch Wegbereiter für alle nachfolgenden Filmmusik-Labels, die uns heute mit einer Fülle von Scores beliefern, von der wir vor 20 Jahren noch nicht einmal zu träumen gewagt hätten. Gute Gründe also, FSM für immer in dankbarer Erinnerung zu behalten.
THE WILD BUNCH Jerry Fielding FSM Vol. 16, No. 1 CD 1: 74:38 / 27 Tracks CD 2: 57:00 / 28 Tracks CD 3: 61:57 / 19 Tracks
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