The Score

Review aus The Film Music Journal No. 28, 2002

Der Medienrummel um THE LORD OF THE RINGS hat längst überdeckt, daß Howard Shore in diesem Jahr wieder prächtige Werke unterschiedlicher Stilrichtungen komponiert hat, allen voran: THE SCORE – das ist doch mal ein Titel, der ins Schwarze trifft und zur lakonischen Musik des Kanadiers paßt. Trotz der Mitwirkung von Robert de Niro, Edward Norton und Marlon Brando ging THE SCORE, ein unspektakulär gefilmter, altmodischer Beitrag zum ehrwürdigen Einbruchsdiebstahl-Genre an den Kinokassen mächtig baden. Vielleicht sollten die Genres Fantasy und Science Fiction mal für fünf Jahre verboten werden, damit Filme wie dieser geradlinig erzählte Krimi wieder eine Chance haben.

Wie dem auch sei, zieht man von THE SCORE den Filmanteil ab, so bleibt ein weiterer Beleg für Howard Shores Vielseitigkeit übrig, ohne daß man die Bezüge zu seinen ernsten Partituren überhören könnte. Wie üblich kann man mit der Anwesenheit sehr gedehnter und diatonisch vollzogener Akkord-Wechsel rechnen, erlebt mit fortschreitender Zeit ein dichtes Bezugsnetz zwischen den gelassen ausgebreiteten Motiven und empfindet nirgends eine formale oder harmonische Unsicherheit. Das Eigentümliche dieser Komposition besteht in der überdeutlichen und prägenden Anwesenheit rhythmischer Patterns, die als Netzwerk das Erlebnis von THE SCORE bestimmen und den verlangsamten Harmoniewechseln auf anderer Ebene entgegenwirken. Nimmt man noch den charakteristischen Klang von Trompeten mit Dämpfern und die Hintergrundfraktion der Blechbläser dazu, so drängt sich das Etikett des „symphonischen Jazz» beinahe auf, ohne doch wirklich zu treffen. Denn dafür legt Shore das Gewicht zu stark auf die schweren Zählzeiten des Taktes, wodurch kaum je die für den Jazz so wichtigen Aufweichungen des Metrums, die synkopischen Querschläger, zur Geltung kommen.

Synkopen erscheinen vielmehr nur als Stafetten und werden schon deshalb metrisch gebändigt. Was vom Klangcharakter der Sphäre des Jazz entlehnt zu sein scheint, entpuppt sich vielmehr als Musterbeispiel einer großstädtischen, auf dem Sprung befindlichen Komposition mit mehreren übereinander gelagerten Schichten. Höre man nur einmal die einzelnen Instrumentengruppen: Alles hat seinen eigenen Pulsschlag und paßt doch in den Gesamtrahmen hinein. Das ist keine musikalische Geschichte! Es werden keine Themen entwickelt und verarbeitet, deren jeweiliges Stadium sich von anderen abgrenzen ließe. Wohl präsentiert Shore mal eine Art General-Crescendo, während zumeist nur einzelne Figuren an- und abschwellen; doch ähneln sich die Tracks in ihrer Textur sehr stark. Dafür verschieben sich die Gewichte. Dominiert hier das Rhythmus-Kontinuum, so dort eine Bläserfigur oder Klangfarbe.

Diese Gewichtsverlagerung gleichbleibender Materialien ist es auch, was die hypnotische Aura dieser kraftvollen, in ihrer Intensität unnachgiebigen Partitur im Wesentlichen ausmacht. Am Ende kann man nicht mehr und hat doch nie genug.

Matthias  |  2002

THE SCORE
Howard Shore
Varèse Sarabande
38:39 | 12 Tracks