The Private Life of Sherlock Holmes

Die Idee einer Sherlock-Holmes-Produktion hatte Billy Wilder schon 1957, dannzumal in Form eines Musicals. Daraus wurde aber ebenso nichts wie 1963 als musikalischer Film mit Peter O’Toole und Peter Sellers. Die Umsetzung in einen «normalen», dramatischen Film bedurfte dann nochmals einige Anläufe und trug erst Früchte, als Wilder schliesslich auf seinen bewährten Drehbuch-Autoren I. A. L. Diamond zurückgriff. Die beiden kreierten vier Episoden, die zwar zum Teil auf Arthur Conan Doyle beruhten, jedoch primär eigene Ideen enthielten, um bisher im Dunkeln gehaltene Seiten von Holmes zu erforschen, wie sein kompliziertes Verhältnis zu Frauen, seine mögliche Homosexualität und seine Drogenabhängigkeit.

Bewusst entschied sich Wilder für eine eher unbekannte Besetzung (mit Ausnahme von Christopher Lee als Holmes› Bruder Mycroft), was nebst einer Laufzeit von dreieinhalb Stunden mit ein Grund dafür gewesen sein mag, dass der Film bei einer Testvorführung gnadenlos durchfiel, worauf sich Wilder damit einverstanden erklärte, dass United Artists den Film um satte 75 Minuten kürzte und dabei zwei Episoden gleich ganz herausschnitt. Für Wilder war der Film damit ruiniert und «er wirkte länger, als sie ihn kürzer machten». Obwohl diese neue Version bei Publikum und Kritik besser abschnitt, hielt sich die Begeisterung immer noch in Grenzen. In der Gunst der Filmliebhaber stieg THE PRIVATE LIFE OF SHERLOCK HOLMES indes im Laufe der Jahre und gilt heutzutage als einer der ganz grossen Sherlock-Holmes-Klassiker.

Nach drei gemeinsamen Filmen in den 1940er-Jahren ‒ zwei davon unsterbliche Film-Noir-Klassiker ‒ trennten sich die beruflichen Wege von Billy Wilder und Miklós Rózsa, sie blieben aber freundschaftlich verbunden. Mit THE PRIVATE LIFE OF SHERLOCK HOLMES ergab sich für Wilder die Gelegenheit, wieder mit Rózsa zusammenzuarbeiten, denn als grosser Fan von dessen Violin-Konzert Op. 24 sah der Regisseur die Musik als perfekte Begleitung für den geigenspielenden Detektiv. Rózsa war begeistert, denn ihm gefiel das Drehbuch und er freute sich auf die wieder auflebende Zusammenarbeit mit Wilder.

Der Score zu THE PRIVATE LIFE OF SHERLOCK HOLMES enthält sowohl Themen aus dem Konzert wie auch eigens für den Film entwickeltes Material, und alles harmoniert bestens miteinander. «Allegro non troppo ma passionato» aus dem ersten Satz des Konzerts wird für Holmes› Kokainsucht verwendet, das leidenschaftliche und schwelgerische «Lento cantabile» des zweiten Satzes personifiziert die weibliche Hauptfigur Gabrielle Valladon und dient ebenso als Liebesthema, die spektakulären, das «Allegro vivace» des dritten Satzes eröffnenden Klänge werden dem Monster von Loch Ness zugeordnet, dessen Geheimnis vom Film auf originelle Weise gelüftet wird.

Sehr schön in die Stimmung des Konzerts fügt sich das Thema für Holmes, das «Main Title» eröffnet. Dieser Track präsentiert unter anderem mit einem feierlichen, an Elgar angelehnten Marsch ein weiteres, exklusiv für den Film gefertigtes Thema. Für die in Schottland an einem ebenso geheimen wie gefährlichen Projekt arbeitenden Antagonisten ersinnt Rózsa Düsteres und Bedrohliches, nutzt die Örtlichkeit aber auch für folkloristische Momente mit (allerdings dramatisch aufspielenden) Dudelsäcken und der Einbindung des Traditionals «Loch Lomond».

Nach einer wenig ergiebigen Phase ab 1963 zeigt Miklós Rózsa, dass er absolut nichts verlernt hat und liefert den wahrscheinlich stärksten Score seiner Spätphase. Dies anerkennt auch Quartet Records. Das Label veröffentlicht THE PRIVATE LIFE OF SHERLOCK HOLMES ‒ pandemiebedingt nicht ganz pünktlich zum 50-jährigen Filmjubiläum ‒ nach 2013 erneut und macht diesmal alles richtig. Während die 2013er-Edition klanglich zu wünschen übrig liess und mit der Entscheidung, für den teilweise beschädigten Track «Gabrielle» auf das Heifetz-Konzert zurückzugreifen, nicht überall auf Gegenliebe stiess, konnte Chris Malone, obwohl er auf das gleiche Ausgangsmaterial zurückgreifen musste, den Klang nochmals erheblich verbessern (was mir Phil bestätigte, ich selber habe die alte CD nicht) und «Gabrielle» in der originalen Filmform präsentieren.

Zudem kriegt man nun auf einer zweiten Scheibe mit der Jascha-Heifetz-Interpretation nicht nur die Referenzaufnahme des Violinkonzertes, sondern darüber hinaus mit der «Fantasy» das allererste Mal überhaupt einen Track aus den legendären « Rózsa conducts Rózsa» Polydor-LPs offiziell auf CD. Das von Christopher Palmer aufs Vortrefflichste arrangierte Stück ist mit dem Royal Philharmonic Orchestra und Erich Gruenberg an der Violine personell gleich besetzt wie die Filmaufnahme.

Auch die Source-Tracks sind nicht ganz ohne, denn da Holmes und Watson einer Schwanensee-Aufführung beiwohnen (deren Orchester übrigens von Rózsa persönlich dirigiert wird) und danach auf eine «Aftershow»-Party eingeladen werden, beschränken sich Rózsas Tschaikowsky-Bearbeitungen nicht nur auf das Ballett, sondern er überträgt sie auch pfiffig und temperamentvoll auf ein Balalaika-Ensemble.

Zusammengefasst bekommt man mit Quartets Doppel-CD alles Essenzielle, was es bezüglich THE PRIVATE LIFE OF SHERLOCK HOLMES zu veröffentlichen gibt (mit Ausnahme der allerdings auf der Tadlow-Neueinspielung enthaltenen Stücke, die für die entfernten Episoden gedacht waren und wohl nie aufgenommen wurden), was diese limitierte Edition für alle Rózsa-Liebhaber unentbehrlich macht.

Andi 29.5.2021

THE PRIVATE LIFE OF SHERLOCK HOLMES

Miklós Rózsa

Quartet Records

QR446

CD 1 51:11 Min. / 17 Tracks
CD 2 65:04 Min. / 14 Tracks

Limitiert auf 1000 Stk.