The Other

Wie bei seinem Meisterwerk TO KILL A MOCKINGBIRD (1962), setzt Robert Mulligan bei THE OTHER (1972) Kinder ins Zentum der Handlung. Die basiert, wie bei MOCKINGBIRD, auf einer Romanvorlage, in diesem Fall von Tom Tryon stammend, der sich indes eher als Schauspieler (u. a. THE CARDINAL) denn als Schriftsteller einen Namen machte. Im sommerlichen, ruralen Amerika der 1930-Jahre spiegeln sich hier Setting und Zeitperiode von MOCKINGBIRD ebenso wieder wie die Tatsache, dass die jugendlichen Protagonisten mit nur einem Elternteil aufwachsen.

Konkret geht es um die Zwillingsbrüder Niles und Holland Perry, deren Vater bei einem Unfall ums Leben kam und deren mental fragile Mutter Alexandra (Diana Muldaur, nebst einem noch sehr jungen John Ritter das einzige bekanntere Gesicht im Cast) seither kaum noch das Haus verlässt. Um die Jungs kümmert sich hauptsächlich die aus Russland stammende Grossmutter Ada, die ein spezielles «Spiel» mit ihnen durchzuführen pflegt, das mit ein paar rätselhaften Unglücken und Todesfällen in Verbindung zu stehen scheint.

Thrill, subtiler Horror und parapsychologische Elemente prägen den Film, und diese Themen sind wie gemacht für Jerry Goldsmith. Und gerade dann, wenn Kinder darin involviert sind, läuft er zur Höchstform auf und liefert hervorragende Ergebnisse, wie THE OMEN oder POLTERGEIST eindrücklich zeigen. Wie bei diesen setzt Goldsmith auch hier als trügerischer Kontrast zum Horror auf ein Lullaby, das sich sanft, wehmütig, verspielt oder leicht verstörend zeigen kann. Hauptsächlich für Flöte und Streicher, manchmal unterstützt von Klavier, Cembalo und Mundharmonika. Zuweilen auch gepfiffen, ungeübt klingend, wie das bei Kindern üblich ist. Dieses Pfeifen stammt von Goldsmiths Ehefrau Carol.

Während das Lullaby, ein mitfühlendes Thema für Alexandra und zurückhaltende russische Klänge für Ada auf konventionellen Pfaden wandeln und in nuancierten Bearbeitungen teils für unterschwelligen Grusel sorgen, greift Goldsmith bei den handfesteren Horrorklängen oft zu Avantgarde und Echo-Effekten, setzt auf die Wirkung des Echoplex, mit dem er Klavier, Holzbläser und Marimba bearbeitet. Die Streicher weist er an, in unbestimmten Tonlagen zu brummen, chromatisch so schnell wie möglich und in den höchsten Tönen zu spielen, während die Hornisten durch umgekehrte Mundstücke zu blasen haben.

Im Film zum Teil unverwendet oder mit gekürzten Cues im Einsatz und in Sachen Veröffentlichung eher stiefmütterlich behandelt (die 22-minütige, an THE MEPHISTO WALTZ angehängte Suite von anno 1997 machte keinen allzu grossen Eindruck), zeigt THE OTHER in dieser klanglich aufpolierten, dreiviertelstündigen Präsentation sein nicht zu überhörendes Potenzial und fügt sich damit wunderbar in Goldsmiths beachtliches Horror-Portfolio ein. Mit einem kenntnisreichen Begleittext von Tim Greiving versehen, ist diese CD jedem Goldsmith-Fan wärmstens zu empfehlen.

Andi  |  21.10.2024

THE OTHER
Jerry Goldsmith
Varèse Sarabande VSD 00891
45 Min. | 19 Tracks
Limitiert auf 2000 Stk.