Die Rückkehr der Legende
Vielleicht erinnern Sie sich: Als Intrada vor zweieinhalb Jahren Jerry Goldsmiths Inchon veröffentlichte und die auf 1500 Stück limitierte Doppel-CD innert weniger Stunden ausverkauft war, erwägte der überrumpelte Douglass Fake eine Nachpressung und spaltete damit die Sammler in zwei Lager. Die zu kurz Gekommenen begrüssten die Idee selbstverständlich, während es sich bei den Protestierenden, die bis hin zur Integrität des Labels kein Gegenargument ausliessen, wohl vorwiegend um Spekulanten handelte.
Eine andere Taktik wählte nun Lukas Kendall, der einfach ohne Vorwarnung mit The Omega Man einen der begehrtesten FSM-Titel –diesmal sogar unlimitiert – wieder auf den Markt brachte. Die Reaktionen darauf waren indes praktisch die gleichen wie seinerseits bei Inchon, und wiederum verschufen sich die Gegner am lautesten Gehör. Irgendwie kann ich es ja verstehen. Es sind die gesuchten Raritäten, die nicht jeder im Regal stehen hat, die einer Sammlung erst die richtige Würze verleihen. Auch ich wäre im ersten Augenblick nicht gerade begeistert, wenn Kostbarkeiten wie In Harm’s Way oder Young Sherlock Holmes wiederaufgelegt würden. Aber letztlich gilt gleiches Recht für alle, und jeder – vor allem Filmmusik-Neulinge, die gar nie die Möglichkeit hatten, an bestimmtes Material zu kommen –sollten eine faire Chance bekommen, preisgünstig an begehrte Scores zu kommen.
Im Übrigen kann man jedem, der gegen die Neuauflage von limitierten CDs ist, relativ einfach den Wind aus den Segeln nehmen, denn die Limitierung beschränkt sich, wie man auf jedem FSM-Backcover ersehen kann, auf die jeweilige Pressung und nicht auf den Titel per se. Beim Omega Man kommt noch hinzu, dass die Zweitauflage neues Artwork, eine andere Sequenzierung sowie ein paar Orgel-Overlays, die auf der Erstpressung fehlten, aufzubieten hat. Zudem erscheint dieses Update auf Kendalls Zweitlabel «Retrograde». Wer sich da geprellt fühlt oder böse Absicht vermutet, ist selber schuld.
Grainers groovige Apokalypse
The Omega Man beruht auf einem Roman von Richard Matheson, der bereits 1964 unter dem Titel The Last Man on Earth mit Vincent Price verfilmt wurde und 2007 erneut für die Leinwand adaptiert wurde. Diese aktuelle, ganz ordentliche Version mit Will Smith trägt als einzige den originalen Buchtitel I Am Legend.
Während Vincent Price in Rom und Will Smith in New York unterwegs sind, brettert Charlton Heston als Robert Neville im grossen Ami-Cabriolet zu den Klängen von Max Steiners A Summer Place durch die gottverlassenen Strassen von Los Angeles, die nachts von der «Familie» – Horden aggressiver, lichtempfindlicher Albinowesen – heimgesucht werden. Eines Tages findet Neville heraus, dass er nicht der einzige «normale» Mensch ist, der in der Endzeit lebt.
Wenn man sich fragt, ob Grainers Musik etwas damit zu tun hat, dass The Omega Man Kultstatus geniesst, dann findet man beim Marktwert des Soundtracks eine mögliche Antwort. Die Erstauflage gehörte zu den ersten FSM-CDs, die ausverkauft und dann nur noch sündhaft teuer zu erstehen waren, und wenn man bedenkt, dass anderseits so mancher vom Label veröffentlichte Klassiker namhafter Komponisten noch kistenweise im Lager schlummern dürfte, so ist das zumindest ein nicht zu unterschätzendes Indiz für diese Vermutung.
Aus dem Œuvre des in Australien geborenen und mit 59 Jahren viel zu früh gestorbenen Ron Grainer, der sich vor allem mit unzähligen TV-Serien und -Filmen einen Namen gemacht hat, ragt The Omega Manzweifellos besonders heraus. Dieser clever aufgebaute Score mit sehr eingängigen Themen und einer gut durchdachten Mischung aus Pop, Rock, Barock, Jazz und Avantgarde ist geradezu prädestiniert, ein breiteres Publikum anzusprechen.
Signifikant für The Omega Man ist die Orgel, bei der sich Grainer von Bach inspirieren lässt, das Instrument aber vortrefflich dem Zeitgeist seiner Komposition anpasst. Dem Thema von Neville sind Posaunen zugewiesen; mal ist es nur eine, die sich in Einsamkeit übt, mal der sonore Klang von deren acht, wenn’s auf der Leinwand zur Sache geht. Da die selbe Blechbläsergruppe auch für die «Familie» zuständig ist, sind Gut und Böse gar nicht so weit voneinander entfernt. Warme Streicher stehen für die schwarze Powerfrau Lisa, die sich Neville zur Seite stellt, dann gibt es noch ein liebliches und optimistisches Kinderthema, das auch den Film mit der Hoffnung beendet, dass das Leben auf der Erde künftig wieder aufblüht.
Wenn auch nicht verschwiegen sein soll, dass es im dramatischen Bereich die ein oder andere Passage gibt, die auf CD nicht allzuviel hergibt, gilt es am Schluss doch noch auf ein paar Sachen hinzuweisen, die diesen Score besonders auszeichnen. Obwohl Grainer seine Musik mit Zutaten versieht, die sie unverkennbar den 1970er-Jahren zuordnen lassen, im perkussiven Bereich etwa den Einsatz des Waterchime – dessen speziellen Klang auch Jerry Goldsmith oder David Shire für besondere Effekte nutzten – klingt sie frischer und unverbrauchter als so manches Werk aus dieser Aera. Man beachte auch die unaufdringliche Elektronik, die in ausgewogenem Gleichklang mit dem Orchester aufspielt, was in jenen Tagen beileibe nicht selbstverständlich war. Seinen Teil zu diesem Eindruck hat aber auch Toningenieur Dan Wallin beigetragen, dessen klare und direkte Aufnahme kaum Spuren der Zeit aufweist. Diese Faktoren machen The Omega Man zu einer ungewöhnlichen Genremusik, die wie der Film zu Recht Kult geworden ist.
THE OMEGA MAN (2.0 Unlimited) Ron Grainer Retrograde FSM 80127-2 64:28 Min. / 18 Tracks
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