The Missing

Review aus The Film Music Journal No. 31/32, 2004

Horner im Quadrat: Nach einer mehr als einjährigen selbstauferlegten Schaffenspause erwartet einen zum Ende dieses Jahres eine regelrechte Horner-Schwemme mit insgesamt vier CDs, von denen mir THE MISSING noch die musikalisch ansprechendste zu sein scheint. Zumindest kommt nach den laschen und faden Horner-Aufgüssen der letzten paar Jahre endlich mal wieder mehr tempogeladene Dramatik und rhythmische Dynamik ins Spiel, auch wenn gleich vorneweg gesagt werden muß, daß einiges auf dieser CD sich wiederum als recht verkorkste Mixtur herausstellt.

Mit THE MISSING versucht sich Regisseur Ron Howard an einer recht gewagten Neuauflage von John Fords Western-Meisterwerk THE SEARCHERS (1956), wobei Tommy Lee Jones und Cate Blanchett die Hauptrollen spielen: Ein Vater und seine ihm entfremdete Tochter machen sich auf die Suche nach der von Indianern entführten Enkelin. Die zugleich epische wie mystisch-dunkle Reise in die Welt der Indianer nutzt Horner natürlich mal wieder reichlich dafür, eifrig mit Indianergesängen, wilden Percussion- Einlagen sowie Panflöten und Shakuhachi zu hantieren, was dem Score zumindest auf CD nicht immer gut bekommt.

Zum einen wirkt die Komposition mit 77 Minuten einfach zu lang, zum anderen schafft es Horner auch bei THE MISSING erneut nicht, ein durchgängig stringentes Werk ohne World Music-Anleihen zu kreieren. Die wirklich starken Orchesterpassagen, in denen Horner seine Streichergarnison und vor allem die noblen Hörner in alter Manier aufmarschieren läßt, gehören zum Besten, was man seit längerem von ihm gehört hat und bestechen durch ihren emotionsgeladenen LEGENDS OF THE FALL-Touch, während in anderen Tracks wie «A Dark Restless Wind» oder «A Curse of Ghosts» mit minutenlangen Orgelpunkten und synthetischen Klangflächen nur musikalischer Flachsinn erzeugt wird: Shakuhachi und Panflöten schaukeln dabei in statischer Monotonie derart belanglos vor sich hin, daß der Griff zur Fernbedienung und der Sprung zum nächsten Titel manches Mal unvermeidlich bleibt.

Man wird folglich ständig hin- und hergerissen zwischen Himmelhochjauchzen, wenn Horner mit seinen zwei herrlichen Hauptthemen arbeitet und sie wie im langen 16-minütigen Schlußtrack wunderbar ausrollt, und verständnislosem Kopfschütteln über die zu aufgeppt und übertrieben wirkenden ethnischen Sounds, wenn das Gekrächze und Geheule mal wieder unsäglich auf die Spitze getrieben wird. Es gibt natürlich faszinierende Momente, in denen sich das ethnische Kolorit mit den traditionellen sinfonischen Klängen sehr gelungen verbindet wie in «The Brujo’s Storm – A Loss of Innocence». Und in Track 12 «Rescue and Breakout» brennt Horner mit exotischem Schlagwerk und deftigen Actionrhythmen endlich mal wieder ein rasantes und kraftvolles Orchesterfeuerwerk ab, das sich gründlich gewaschen hat. Doch insgesamt sind es denn doch zu wenige solcher Kombinationen, die wirklich überzeugen.

Übrig bleibt daher ein Horner, dem ich zwiespältig gegenüberstehe: Ein Soundtrack mit qualitativ extremen Höhen und Tiefen, der um die Hälfte der Spielzeit gestutzt sicher einen wesentlich besseren Eindruck hinterlassen würde. Die sinfonischen Parts jedoch sind so begeisternd, daß ich mich zu einer recht wohlwollenden Bewertung durchgerungen habe.

Stefan  |  2004

THE MISSING
James Horner
Sony SK 93093
77:37 | 15 Tracks