Über James Marshs bemerkenswerte Verfilmung des Segeltrips von Donald Crowhurst im Rahmen eines normalen Reviews zu schreiben ohne dabei zu viel zu verraten ist fast ein Ding der Unmöglichkeit. Dennoch, THE MERCY ist es wert erwähnt zu werden und so wage ich den Versuch gleichwohl – wer aber völlig unbelastet an den Film heran gehen möchte, was ich wirklich empfehlen kann, dem sei geraten jetzt und hier mit dem Lesen dieser Kritik aufzuhören, eine Empfehlung kann ich allerdings dennoch kurz abgeben: THE MERCY sollte man sich ansehen.
Donald Crowhurst ist was man unter Sportseglern einen Wochenendsegler nennt: Einer, der sein Boot mit seiner Familie an einem schönen Sonntagmorgen aus dem Hafen steuert und vor sich herumdümpeln lässt. Doch Crowhurst ist unglücklich. Sein Geschäft mit innovativen elektronischen Geräten für Segelboote läuft mehr als schleppend und im von der Sunday Times mit einem grossen Preisgeld und viel Ruhm gesponserten Rennen um die Welt für Solosegler sieht er eine Chance für sich und eine Möglichkeit seiner Familie endlich mehr bieten zu können. Doch der Bau des Trimans verzögert sich und als alle anderen Teilnehmer längst auf hoher See sind, schippert Crowhurst in einem halbfertigen Segelboot, für dessen Bau er sich Hals über Kopf verschuldete, zu seinem Startpunkt. Die Vorfreude bei den Zuschauern und die Erwartungshaltung bei den Medien ist riesig. Bei Crowhurst weniger. So macht er sich auf und ahnt was auf ihn alles hereinbrechen könnte.
THE MERCY ist keine Ode an den Sport, die See, das grosse Abenteuer, Wind und Wellen zu spüren und Salzwasser auf den Lippen zu schmecken, das können andere Filme über den Segelsport à la WIND (Musik: Basil Poledouris, unvergessen) besser. Der Film zeigt vielmehr eine traurige Figur, die durch hohen Erwartungsdruck (von aussen und von sich selber) in eine ausweglose Lage gedrängt wird und sich zusehends in seine Angst als Versager zu gelten, verstrickt. Bis hin zum bitteren Ende, das Crowhurst in den Wahnsinn treibt.
Marshs Film packt nicht zuletzt deswegen derart, weil für viele das Schicksal dieses „every day“ Mannes zuvor völlig unbekannt gewesen ist. Das führt zu einer speziellen, ausserordentlichen Entwicklung während des Films und man rutscht tiefer und tiefer hinein in die Umstände und die Person Crowhursts. Das alles in nur 100 Minuten zu bewerkstelligen, ist einfach grossartig ausgeführt. Das zurückhaltende und gleichzeitig aussergewöhnliche Spiel von Colin Firth, die beobachtenden Bilder von Eric Gautier (INTO THE WILD, TAKING WOODSTOCK), die Umschnitte nach England, wo Freude und Euphorie herrscht und nicht zuletzt die Musik des Isländers Johannsson, der nur wenige Tage, nachdem die CD in meinem Briefkasten gelandet ist, verstarb, machen THE MERCY zu einem der stärksten Filme des Jahres. Die Musik im Film unterscheidet sich übrigens in einigen Punkten von der, die wir auf der CD hören.
Phil, 13.8.2018
THE MERCY R: James Marsh D: Colin Firth, Rachel Weisz, David Thewlis u.a. Musik: Johann Johannsson Verleih: Impuls Erscheinungsdatum: 26.7.2018