Les B.O. Introuvables

Mit LES B.O. INTROUVABLES (Rare Soundtracks) lanciert Music Box eine neue Reihe mit französischen Filmmusiken, die entweder überhaupt noch nie oder noch nie auf CD veröffentlicht wurden (vereinzelte Themen ausgenommen). Vol. 1 widmet sich komponistenmässig vorerst ‒ mit Ausnahme von Raymond Lefèvre ‒ nicht allzu bekannten Namen der Branche, aber gerade deshalb sind diese Musiken wohl überhaupt als rar zu bezeichnen.

In LE BATTANT (1983) wandert Alain Delon ‒ des Mordes und Juwelenraubes bezichtigt ‒ in den Knast. Kaum entlassen, heften sich sowohl ehemalige Komplizen als auch die Polizei an seine Fersen um herauszufinden, wo er die Klunker versteckt hat. Der Score dazu stammt von Christian Dorisse, die musikalische Leitung hat Michel Colombier inne. Zu hören ist viel französische Melancholie, die hauptsächlich vom Klavier ausgeht, das im Rahmen des Hauptthemas auch schon mal von Synthesizer und einem Pfeifer begleitet wird. «Thème Clarysse» dient als Liebesthema und bringt die notwendige Romantik mit, ist für einen Krimi aber etwas gar soft ausgefallen. Das ist allerdings nicht das eigentliche Problem dieses Scores, sondern die Tatsache, dass einige Tracks derart abrupt aufhören, dass sie unfertig wirken. Zu Repräsentationszwecken kann man sich deshalb eigentlich auf die letzten zwei, gleichzeitig längsten Tracks konzentrieren. Das sind zum einen eine Single-Version des «Thème Clarysse» (als einzige Differenz zur LP dazugekommen) sowie «Le Battant (Final)» mit allen Komponenten des Hauptthemas. Alles in allem nett anzuhören, aber es fehlt an Ecken und Kanten.

Mit Philippe Noiret als Inspektor und Michel Serrault als Mordverdächtiger liefern sich in PILE OU FACE (1980) zwei grosse französische Mimen ein packendes Katz-und-Maus-Spiel. Die Musik von Lino Léonardi würde man indes ohne dieses Wissen kaum einem Krimi zuordnen, mit Ausnahme einiger weniger, kurzer Spannungstracks und des leicht morbiden Gefühls, das einen beim Akkordeon von «Générique début» und «Épilogue» befällt. Auch das eingängige Hauptthema ‒ zu hören in «Pile ou face» und «Générique fin» ‒ weist ein paar Genre-Attribute auf, fällt generell aber eher in die Kategorie «Wohlfühlmusik». Ansonsten begegnet man viel Unterhaltsamen wie Musette, Disco-Klängen, Bossa Nova, Tango, Jazz, Hawaiigitarren. Da mögen so manche Erwartungen also enttäuscht werden, aber immerhin kommt bei diesem Score (der als einziger dieses Sets bisher komplett unveröffentlicht blieb) kaum Langeweile auf.

Langweilig wird es auch bei Raymond Lefèvre selten, seines Zeichens ein Meister gut gemachter, unterhaltsamer, wenn auch selten allzu tiefgründiger Filmmusik. Das gilt zumindest für die Komödien, mit denen er sich einen Namen machte, allen voran jene mit Louis de Funès. Der spielt zwar in L’INTRÉPEDIE (1975) nicht mit, aber mit dessen Regisseur, Jean Girault, verbindet Lefèvre eine lange und ertragsreiche Zusammenarbeit, der beispielsweise auch die köstlichen Musiken zu de Funès› Gendarm-Filmen entsprangen. Und was bietet Lefèvre nun in L’INTRÉPEDIE? Zunächst fährt er funkige Klänge mit satten Bläsern auf und macht dann einen Schlenker nach Griechenland, wo mit landestypischen Bouzoukis Urlaubsstimmung aufkommt. Es folgen Wechsel zwischen Spannung, bei der sich auch Klavier und Cembalo beteiligen, Romantik und leichter Dramatik, wo die Waldhörner einen auf Jagdhörner machen. Mit dem funkigen Hauptthema landet man dann wieder dort, wo alles begann. Eine nette Angelegenheit, das Ganze, aber mehr auch nicht, was nicht zuletzt daran liegt, dass der Score seiner vielen kurzen Tracks wegen etwas zusammenhangslos wirkt.

Die Beziehung zwischen einem Vater und seinem Adoptivsohn beleuchtet ANTOINE ET SÉBASTIEN (1974). Der Sohn wird vom vielseitigen Jacques Dutronc verkörpert, den man primär als Chansonnier kennen dürfte, der aber auch als Schauspieler und Komponist tätig ist. Für diesen Film hat er das elegante, süffige Hauptthema geschrieben, das mal à la New-Orleans-Jazz, geführt vom Sopransaxophon im Stile Sidney Bechets, mal im romantischen oder melancholischen Klang des Klaviers zum besten gegeben wird. Als dessen Arrangeur und wohl auch Schöpfer von den wenigen Stücken ausserhalb des Hauptthemas (einer Polka beispielsweise) amtet mit dem Pianisten, Komponisten, Arrangeur und Dirigenten François Rauber ein weiteres französisches Multitalent. Im Wesentlichen definiert sich dieser Score also über sein omnipräsentes Hauptthema und hat es seiner Kürze zu verdanken, dass man dessen ‒ so sympathisch es auch ist ‒ nicht überdrüssig wird.

Diesbezüglich noch einen Schritt weiter geht Alain Goraguer, indem er L‹AFFAIRE DOMINICI (1973) gleich ganz monothematisch gestaltet, zumindest in der hier präsentierten Viertelstunde, bei der es sich aber wohl nicht um den kompletten Score handelt, existiert doch eine LP-Veröffentlichung, die diese Laufzeit gleich verdreifacht. Im auf einem wahren Fall beruhenden Film spielt Jean Gabin einen Bauern, der ohne stichhaltige Beweise der Ermordung einer Touristenfamilie beschuldigt und zum Tode verurteilt wird. Eine bedrückende, aber teilweise auch tröstliche Sensibilität geht von der Musik aus, die vornehmlich aus Akustikgitarre, Blockflöte und Clavinet besteht. Für ein wenig Beunruhigung sorgt ein Klang, der wie von einem Didgeridoo wirkt, aber auch elektronisch erzeugt sein mag. So wie hier dargeboten ist das eine kleine, aber feine Sache.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich in dieser Sammlung keine Meisterwerke befinden, aber es handelt sich doch immerhin um eine erkleckliche Mischung von Stilen, die viele musikalische Geschmäcker bedienen dürfte. Da die Scores allesamt die Halbstundenmarke kaum überschreiten, ja teils sogar beträchtlich kürzer sind und daher locker auf zwei CDs gepasst hätten, stellt sich die Frage, warum sie denn auf deren drei verteilt wurden, aber da mögen vertragliche Bedingungen eine Rolle gespielt haben. Bei Music Box selbst ist die auf 350 Stück limitierte Edition bis auf ein paar wenige Exemplare ausverkauft, und die sind bei Veröffentlichung dieser Rezension vermutlich auch weg. Andere Anbieter haben sie aber bestimmt noch ein Weilchen im Sortiment.

Andi
3.5

LES B.O. INTROUVABLES VOL. 1

LE BATTANT
Christian Dorisse

PILE OU FACE
Lino Léonardi

L'INTRÉPIDE
Raymond Lefèvre

ANTOINE ET SÉBASTIEN
Jacques
Dutronc & François Rauber


L'AFFAIRE DOMINICI
Alain
Goraguer

Music Box Records MBR-B1

CD 1 31:54 Min. / 21 Tracks
CD 2
50:35 Min. / 34 Tracks
CD 3 37:33 Min. / 21 Tracks

Limitiert auf 350 Stk.