Elisabeth Lutyens kam 1906 in London zur Welt und begann mit acht Jahren, Geige zu spielen. Später studierte sie Musik in Frankreich und England und wurde in ihrer Heimat nicht nur Pionierin der Zwölftontechnik, sondern gilt auch als Englands erste Filmkomponistin, und das dann erst noch hauptsächlich in Genres wie Thriller und Horror. Ihre Liebe gehörte zwar primär der Konzertmusik, trotzdem schmeichelte ihr der ihr verliehene Titel «Queen of the Horror Movies».
Dieser von Dragon’s Domain kommende Sampler einer offenbar geplanten Golden-Age-Horror-Serie widmet als erstes Label überhaupt eine Filmmusik-CD Elisabeth Lutyens allein, was das gesamte bisher Veröffentlichte ihres Schaffens auf diesem Gebiet gleich mal verdoppelt. Die drei hier versammelten Filme DR. TERROR’S HOUSE OF HORRORS (1965), THE SKULL (1965) und PARANOIAC (1963) stammen aus den auf Horror spezialisierten Studios Hammer und Amicus, und unter den Darstellern finden sich Genre-Ikonen wie Peter Cushing und Christopher Lee.
Ihre Erfahrung in Serialismus und Zwölftonmusik kam Lutyens bei ihrer Arbeit zweifellos entgegen, und sie setzt bei der Gestaltung ihrer Musiken mehr auf gut umgesetzte Atmosphäre als auf Thematik, was es denn auch schwierig macht, die Scores voneinander zu unterscheiden, da sie, obwohl hie und da auch melodische Emotionalität zugegen ist, keine klar zuweisbaren Eigenmerkmale aufweisen. Aber sie sind handwerklich natürlich erstklassig gemacht und tun ihren Job hervorragend, auch wenn ich mich nicht erinnern kann, einen dieser Filme (oder überhaupt jemals einen von Lutyens vertonten) schon mal gesehen zu haben. Da und dort tun sich im gebräuchlichen Orchesterklang auffällige Instrumente hervor, wie Kirchenorgel und Hackbrett in THE SKULL, dem längsten und – weil davon eine 2002 vom BBC Symphony Orchestra neu aufgenommene Suite existiert – wohl bekanntesten der drei präsentierten Scores. Für Liebhaber von sperriger und herausfordernder Horrormusik ist diese CD auf jeden Fall zu empfehlen.
Es muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass die Musik klanglich ihr Alter nicht verleugnen kann und zudem von Musik- und Effekt-Tracks stammt und also Geräusche wie Hundegebell, Vogelzwitschern, Hufklappern oder menschliche Laute wie Schreien und Stöhnen enthält, die manchmal ein wenig störend sind, manchmal die allgemeine Stimmung aber sogar trefflich unterstützen. Am Ende jedes Scores findet sich zudem noch der jeweilige, launige Kinotrailer.
Auch wenn es also gewisse Vorbehalte gegenüber dieser Veröffentlichung gibt, ist sie historisch gesehen doch recht bedeutsam, da Elisabeth Lutyens als wichtiger Wegbereiterin für Filmmusik-Komponistinnen die ihr zustehende Beachtung bisher verwehrt blieb. Ein Lob daher an Dragon’s Domain, auch wenn das magere, zweimal gefaltete Booklet mit Text von David Hirsch und Sam Scali etwas mehr auf die Musik hätte eingehen dürfen, ja müssen.
Andi | 12.12.2024
THE GOLDEN AGE OF HORROR VOL. 1
Elisabeth Lutyens
Dragon's Domain Records DDR 812
75:31 Min. / 24 Tracks
Limited Edition