The Game

Review aus The Film Music Journal No. 12, 1997

Wenige Wochen nach COP LAND kommt eine weitere ambitionierte Arbeit Howard Shores in die Läden. Ein wenig skeptisch mußte man diese CD in den Player schieben, denn mit COP LAND hatte der Komponist zweifellos sein Meisterwerk abgeliefert, eine bis ins kleinste Detail ausgetüftelte, exzellent eingespielte Partitur. Was sollte dem nun standhalten?

THE GAME vermag das jedenfalls nicht ganz; ein allerdings nur relativ zu verstehender Einwand. Denn auch mit diesem Score brilliert Shore auf eindrucksvolle Weise, ja es scheint, als habe er sich in den letzten drei, vier Jahren nochmals über seinen schon in den achtziger Jahren bedeutenden Stand erhoben. Während man auf seine Komödien und Romanzen, MRS. DOUBTFIRE vor allem, ganz gut verzichten könnte, und manch schwächere Arbeit erst gar nicht auf Tonträgern veröffentlicht wurde, ist nach BEFORE AND AFTER, SE7EN, CRASH und LOOKING FOR RICHARD auch heuer wieder die personalstilistische Mischung aus minimalistischer Veränderung, Akzentsetzungen hinsichtlich der Instrumentalfarben und Ausdauer zu bewundern.

Viele Fans scheuen Shores Musik, weil sie sich nicht nur von üblichen Orchesterklischees fernhält, sondern besonders die willkommene Emanzipation des Rhythmus im avantgardistischen Geist der sechziger Jahre fortschreibt. Was das heißt? Nun, statt von vertrauten rhythmischen Patterns (punktierte Notenwerte, gleichmäßiger Puls, vorhersehbare Satztechnik) wird seine Musik vom Wechsel der Klangfarben bewegt. In THE GAME spielt besonders das Klavier eine führende, freilich nicht die harmlose Rolle, welche der erste Cue präludierend auf den Spielplan hievt. Meist kombiniert Shore hohe, resonanzarme Klavierfiguren oder Tonwiederholungen mit tiefen Streicherzügen, wodurch die Leere der orchestraien Mitte stark hervortritt, ein Unterschied zu COP LAND, dessen reichhaltige Elektronik hier im Hintergrundbleibt.

Unter den vielen beeindruckenden Stücken ragt das vierte hervor: es reiht sich ein in die Tradition zerfetzter Walzermusik. Man kann diesen Dreiertakt aufheizen, bis er explodiert, ihn bis zum Stillstand verlangsamen oder mittels Klangfarbenspreizung ins Extrem treiben. Shore kombiniert die Flageolettöne der Geige mit dem Klavier und tiefen Streicherpizzicati, manövriert den Grundpuls des Walzers so aus, daß Behaglichkeit erst gar nicht aufkommt. Wenn auch in der Baßregion verschiedentlich eine tonale Bindung auszumachen ist, so wird diese durch die atonalen, vereinzelt auch seriellen Klavierelemente durchkreuzt.

Shores Musik war noch nie etwas für den mitwippenden Fuß. Man muß ihr zuhören. Dann allerdings reißt der dunkle Vorhang auf und offenbart einen jeglichem Nonsens abholden, virtuosen Gestaltungswillen, der THE GAME zu einem markanten Baustein in Shores Gesamtwerk macht. Gegenüber COP LAND fehlt es im kompositorischen Detail manchmal an Transparenz, was allerdings auch an der nicht ganz gelungenen Aussteuerung liegt. Das kann aber von der Kaufempfehlung nicht abhalten. Extrem, unbequem – «Faszinierend!»

Matthias  |  1997

THE GAME
Howard Shore
London
58:58 | 14 Tracks