Sunset Sunrise

Mit HI WA SHIZUMI, HI WA NOBORU (so der japanische Originaltitel von SUNSET SUNRISE) geriet Nino Rota 1973 an einen äusserst obskuren Film, den schon damals nur sehr wenige Menschen gesehen haben dürften und den heute kaum jemand mehr kennt, weil man ihn nie zu Gesicht bekommt. Wohl weil Federico Fellini in Japan zu den beliebtesten europäischen Regisseuren gehört, verpflichtete Koreyoshi Kurahara Nino Rota für seinen Film, allerdings steht die Frage im Raum: warum? Da es sich bei SUNSET SUNRISE um ein Road-Movie handelt, wo Hippies mit Motorrädern und einer «Ente» (soviel wenigstens verrät das Back-Cover der CD) Nepal durchqueren, gehört Rota zu den letzten Komponisten, die man sich für solch einen Streifen vorstellen kann.

Da wir die Wirkung der Musik im Film wahrscheinlich nie überprüfen können, soll es hier also nur um sie allein gehen, und soviel kann gesagt werden, sie kann sich wirklich hören lassen. Rota geht gewohnt gefühlvoll und leidenschaftlich zu Werke und präsentiert zwei wunderbare Themen. Das Hauptthema kann seine Verwandtschaft zum zeitnah entstandenen THE GODFATHER nicht verleugnen, während man «Tema di Tina» ‒ zumindest in gewissen Bearbeitungen (beispielsweise für Streicher und Waldhorn) ‒ durchaus auch Ennio Morricone zuschreiben könnte. Sie bilden Herz und Seele des Scores und erscheinen, mal für sich alleine, mal miteinander verwebt, in diversen Stimmungen.

Abseits dieser Themen gibt es mit «Separarazione à Parigi» ein charakteristisches Rota-Tanzstück (das in «Il réquiem di Tina» eine kurze Reprise erfährt), das suspensevolle «La strada per Kathmandu» bindet ethnische Klänge in Form von Trommeln und (vielleicht rituellen) Gesängen mit ein, in «Altro ricordo di Tina» kommt ein volksliedhaftes Gitarrensolo zu Gehör, und nochmals ein paar ethnische Klänge gib es in «Afghanistan».

Bei dieser Veröffentlichung handelt es sich zwar nicht um eine Premiere, aber doch kann man sich erstmals an der reinen Musik erfreuen, denn die seinerzeit erhältliche LP enthielt auch Dialoge und Klangeffekte. Da sie ausserdem nur eine Laufzeit von einer knappen halben Stunde aufwies, bekommt man von Quartet nun noch zwei Bonus-Tracks mitserviert. Dabei handelt es sich um die konzertante Bearbeitung der beiden Hauptthemen, die ausserdem noch wirkungsvoll mit Klaviereinlagen aufgepeppt wird. Die erste wird von Carlo Savina dirigiert, die zweite ‒ aufgenommen bei seinem Japan-Konzert 1977 ‒ von Rota selbst.

Minuspunkte bekommen bei dieser tollen CD lediglich die dürftigen Liner-Notes und das potthässliche Cover. Gerade von letzterem darf sich aber niemand abschrecken lassen, denn SUNSET SUNRISE ist ein erstklassiger Rota, den nicht nur Fans des Komponisten freudig in die Sammlung aufnehmen dürften.

Andi, 31.12.2019

SUNSET SUNRISE

Nino Rota

Quartet Records QR395

34:47 Min.
15 Tracks

Limitiert auf 500 Stk.