Sister Mary Explains it All

Review aus The Film Music Journal No. 28, 2002

Eine nicht enden wollende CD, Musik: Philippe Sarde. Ja wirklich, der Hauptverantwortliche trägt einen klangvollen Namen. Die Sardisten unter uns, keine große Zahl zwar, dafür dem Werdegang ihres Recken zugetan, via Internet haben sie längst demonstriert, wie der Franzose in eigenen Beständen gewildert hat. Das Ergebnis: musikalisches Wildbret aus abgetauter Gefriertruhe. Weil von Belang ist, wie gut sich das Übernommene im aktuellen Zusammenhang etabliert, sei der Vorgang als solcher unblutig zur Kenntnis genommen, zumal das üppige Vorwort des Regisseurs – es wedelt kreuzbrav für den romantischen, skurrilen Philippe Sarde -zwar leidlich fehlorientiert sein mag, in seiner Auskunftsfreudigkeit jedoch eine Fahne in den Nullpunkt gewohnter Varèse-Vignetten rammt.

Nimmt man die titelgebende, leider auch für die Covergestaltung den Herrn als Hirten beiholende Komposition SISTER MARY EXPLAINS IT ALL als Maßgabe, so empfiehlt sich die Ablage der Fernbedienung in Reichweite. Heilig, heilig, heilig will das sein, ist jedoch bloß das Resultat einer durchaus profanen Gedankenarmut, dazu an den Haaren herbeigezerrt; wessen auch immer. Eine für gutes Geld angemietete Orgel produziert Myriaden von Wechselnoten, die zwar keinen höheren Sinn erkennen lassen, dafür zur Zellteilung neigen wie sonst nur Mikrogetier.

In Track 4+7 wird ein Kind mißbraucht, zur Folter des Hörers. Dieses Kind kann nicht singen, trägt aber «etwas» vor, was von seiner akustischen Konsistenz her auch zum teufelsbesessenen Mädchen Regan aus THE EXORCIST passen würde. Und dann der Chor, diese Wochenendgemeinschaft Himbeergeist aus Bergisch-Gladbach. Aufstellen, die Noten hochhalten und singen was die Goldkehle hergibt.

Dann kommt LOVESICK. In der kalten Jahreszeit tut etwas Nestwärme gut, da darf der Zuckerguß gern eine Lage dicker fließen. Eine Flöte, mit viel Vibrato angeblasen. Quirlige Flötentöne, beigebracht dem entgeisterten Hörer, der sich längst mit gequältem Lächeln maskiert. Auch die Streicher mischen mit. Ein Lebkuchenheim backen? Dann nichts wie Ios. Ach, wie ist die Welt doch schön! Und wo wir alle beisammen sind, da wollen wir auch tanzen. Einen Walzer, aber flott! Und hängen wir dann schweißnaß im Sessel, so eilt unser Flöterich herbei, mit munterem Tirili. Wohlige Wärme, wie tut sie gut!

Wann immer Monsieur Sarde seinen Zauberstab schwingt, nimmt der Erdball eine rosige Farbe an und – grinst. Wir aber müssen weiter, noch folgt ein dritter Streich, THE MANHATTAN PROJECT. Ein wenig Hoffnung keimt auf. Den steifgefrorenen Zuckermantel aus LOVESICK sägen wir durch, lassen wir stehen. Da lockt eine Rhythmusmaschine, etwas altertümlich vielleicht, aber willig! Die Einfalt des Bisherigen weicht einer aufgekratzten Reise durch gesuchte Instrumentationen, im «Main Title» gar von böswilligen Stampfern attackiert. Also wünscht man wieder umhegt zu werden und läßt sich in «Ithaca» nieder – so heißt Track 20. Noch eine Viertelstunde. Die allerdings kann sich ziehen, Tempowechsel hin oder her. Am Ende bleibt nur der Griff zum Drückeberger. Nun hat die liebe Seele Ruh›! Und wie kommen wir hier zum Schluß? Am besten mit einem Wort zu Robert Townson, der ist Produzent von Beruf und bietet uns dieses peinliche Etwas. Der Mann hat ein Rad ab. Mindestens eins. Doch hören wir letztmals hin und genießen den O-Ton des Varèse-Discounter-Lautsprechers: «Verehrte Kunden, in wenigen Minuten schließt unser Haus. Wir hoffen, Sie bei Ihren Einkäufen zufriedengestellt zu haben und wünschen einen angenehmen Abend. Hahahahahahaha hahahaha….. [fade out].»

Matthias  |  2002

SISTER MARY EXPLAINS IT ALL
Philippe Sarde
Varèse Sarabande
74:44 | 24 Tracks