Review aus The Film Music Journal No. 28, 2002
Eine spleenige Idee ergibt noch keinen beeindruckenden Film. Das sagt man sich nach dem Besuch einer Vorstellung von SHADOW OF THE VAMPIRE, einem nichtsdestotrotz besonders faszinierenden Kinoereignis des Jahres. Die spleenige Idee? Nun, dazu muß man sich auf einen betagten Leinwandklassiker deutscher Machart besinnen.
1921 drehte Friedrich W. Murnau unter dem Titel NOSVERATU – EINE SYMPHONIE DES GRAUENS die erste Verfilmung von «Bram Stokers Dracula». Den Vampir, eine auch heute noch furchteinflößende Gestalt, spielte der allseits unbekannte Max Schreck. Nomen = Omen? Ja, auch damals schon. Herr Schreck sah so aus wie er hieß. Aber er war ja nur ein Schauspieler. Oder etwa nicht? Nein, war er nicht – genau dies ist die spleenige Idee von SHADOW OF THE VAMPIRE, in dem die Dreharbeiten zu Murnaus Klassiker mit eigensinnigen Winkelzügen nachgestellt werden. Den Ausgangspunkt bildet die Einsicht, daß wir von Max Schrecks Filmkarriere deshalb so wenig wissen, weil er wirklich ein Vampir war und diese Rolle nicht etwa nur spielte. Folgerichtig brauchte er frisches Blut und suchte sich seine Opfer unter den Mitgliedern der Filmcrew, was das ganze Projekt an den Rand des Scheiterns brachte. Auch Murnau selbst, der frühverstorbene Regisseur, wird als egomanischer Beinahe-Psycho dargestellt, der seine Homosexualität offen auslebt und stets bereit ist, mit dem Vampir nächtens über die Wahl des unvermeidlichen Opfers X zu verhandeln. Am Ende kommt man ratlos aus dem Kino, weil die gloriose Idee den hysterischen Film nicht über die ganze Strecke trägt.
Trotzdem hat SHADOW OF THE VAMPIRE unleugbar seine Meriten, zu denen neben zeitgenössischen Filmrequisiten und manch wirrem Wortspiel auch die jedenfalls vorzüglich eingesetzte Filmmusik von Dan Jones zu rechnen ist. Wie aber macht sich diese abseits der symbolbeladenen Bilder? Um es kurz zu sagen: einigermaßen. Ihre schönsten Momente hat sie in den langgezogenen Streicherpassagen mit ihren schwindsüchtig chromatisierenden Fortschreitungen, die das Jugendstilflair des frühen 20. Jahrhunderts überzeugend nachzittern lassen. Wer also auf handfeste, strukturbildende Themen fixiert ist, wird sich etwas verloren vorkommen, da es dergleichen nur andeutungsweise gibt.
Zwischen erdgebunden-melancholischen Solophrasen und einer – durch überbordende Reizdissonanzen hervorgerufenen Frivolität schwingt das Pendel mehrfach hin und her. Inmitten der Klangverwehungen, in denen sich Tristan und VERTIGO Gute Nacht sagen, tauchen auch kurze gesprochene Textblöcke, High Society-Lachsalven und Hintergrundgeklingel auf. Das tollste Stück heißt «Title Music» und kommt fast ganz zum Schluß. Erst mal nur Knarzen, das man für einen weiteren Gimmick hält; bis man begriffen hat, daß da ganz im Hintergrund eine Schellackplatte abgespielt wird. Was für ein enger Klang im tiefen Raum! Allmählich füllt sich der Vordergrund zu beiden Seiten mit wuchernden Streicherfäden auf, eine Harfe arpeggiert, die Bläser schichten ihre Akkordbeiträge übereinander, und bald ist die historische Aufnahme nicht mehr zu hören. Dafür breitet Dan Jones ein unendlich melancholisches Gebilde aus und führt das Orchester zu einem pathetischen Höhepunkt, dem ein langes Ausatmen folgt.
Als Bonus gibt’s ein richtiges Schellack-Schätzchen. Wer sich also dazu entschließen sollte, diese in Deutschland unveröffentlichte Import-CD ins Haus zu holen, hat sich auf einen Kessel Buntes einzustellen. Alles angeschrägt, und nicht zu knapp. Da wirken am Ende sogar die an- und abschwellenden Streicherwogen, so ernst sie sich geben, so üppig sie orchestriert sind, wie der Ausbund gut verborgener Schalkhaftigkeit. Ein Kultalbum für besondere Augenblicke? Unbedingt, doch ohne die Erinnerung an SHADOW OF THE VAMPIRE kaum mehr als ein Rätsel ohne Aussicht auf Lösung. Die nachfolgende Bewertung hütet diese Erinnerung – und überträgt sie auf die Musik. Unter dem Rezensionsstrich ergibt das die völlig verfehlte Klassifizierung «Durchschnitt». Aber was soll man da machen?
Matthias | 2002
SHADOW OF THE VAMPIRE
Dan Jones
Pacific Time Entertainment
49:48 | 28 Tracks