Sally Hemmings: An American Scandal

Review aus The Film Music Journal No. 25, 2001

Es ist schon eine sonderbare Sache mit den Amerikanern: Da hatte Joel McNeely doch erst vor kurzem für SOLDIER (1998) und VIRUS (1998) zwei Actionscores beigesteuert, die sich hinsichtlich Lärmpegel und exzessiver Effekthascherei zwar als Gipfelstürmer erwiesen, auf Grund ihrer hohlen und kurzlebigen Klangsalven aber zu keinem Moment irgendwelches musikalisches Eigenleben abseits der Filmbilder entwickelten. Von mir also fast schon in die Retortenkiste geschmissen, überrascht McNeely mit einem sensiblen und durchdachten Score für die TV-Serie SALLY HEMMINGS: AN AMERICAN SCANDAL, der er mit der Literaturverfilmung LOVER’S PRAYER (2000) gleich noch einen zweiten hochkarätigen Wurf hintangestellt hat. Offenbar bedarf es heutzutage tatsächlich historischer Sujets, die ja eh zum Großteil meist nur noch fürs Fernsehen abgedreht werden, um den jeweiligen Komponisten wieder an sein handwerkliches Rüstzeug zu gemahnen. Ein ähnliches Aufhorchen lassendes Ergebnis gab es nämlich vor ein paar Jahren schon mal bei der ausgesprochen fein gestrickten Partitur von James Newton Howard zu RESTORATION (1995), ebenfalls ein Ausnahmefall im Werk dieses Komponisten.

Für SALLY HEMMINGS: AN AMERICAN SCANDAL, der die Liebesgeschichte zwischen dem amerikanischen Präsidenten Thomas Jefferson – dargestellt von Sam Neill – und seiner mulattischen Sklavin Sally Hemmings zu Beginn des 19. Jahrhunderts erzählt, hat McNeely auf alle Fälle seine Komponierstube wieder auf Vordermann gebracht und völlig frischen Wind hereingelassen. Er versteht es grandios, den romantischen John Barry hier auf dessen eigenem Terrain zu schlagen, indem er sich zwar von dessen griffigen Melodien inspirieren läßt (vor allem OUT OF AFRICA, 1985, und DANCES WITH WOLVES, 1990, lugen desöfteren ums Eck), jedoch Barrys größten Makel, seine endlose Repetierschleife bestimmter Phrasen sowie die schleppende Streicherinstrumentierung, außen vor läßt und für mannigfaltige Abwechslung in der Themenverarbeitung, in der Instrumentierung und in der Rhythmik sorgt.

«I Was Born Sally Hemmings» geleitet mit einer gospelartigen elegischen Solo-Vokalise, die auf die afrikanische Herkunft der Sklavin Sally Hemmings verweist, mitten hinein ins breit sich ausschwingende satte Hauptthema, das, vom vollen Orchester kredenzt, richtig schönes Americana-Feeling aufkommen läßt. Im Verlauf der Partitur greift McNeely immer wieder in vielfältigen Variationen auf dieses Thema zurück, sehr kraftvoll etwa in «Returning Home», voller Würde wie in «Sally and Tom» und sogar mit furiosen Trompetenstößen à la PATTON (1970) und mitreißenden Actionrhythmen wie in den «End Credits». Das benötigte Zeitkolorit beschwert der Komponist in einigen stilecht dargebotenen Tracks herauf, die höfische Barockatmosphäre vermitteln. Zum Teil hat er dabei die «Concerti Grossi op. 6» des Barockkomponisten Arcangelo Corelli adaptiert.

Eine satte, instrumental sehr farbige und melodisch stets einfallsreiche Musik, die sich trotz einer beachtlichen Länge von 74 Minuten sehr schon durchhören läßt – nicht zuletzt deshalb, weil fast durchweg auf den Melodiefluß hemmende langweilige Spannungstracks verzichtet wird. Frage in die Runde: Wer hätte beim derzeitigen Stand der Dinge mit einem so reizvollen Geschenk aus Amerika gerechnet? Wenn man bedenkt, daß das Seattle Symphony Orchestra bei den Recording Sessions im Winter 1999 unter teilweise arktischen Temperaturen spielen mußte, wie es im Booklet von McNeely selbst sehr witzig angemerkt wird, erstaunt die qualitative Umsetzung dieser Komposition um so mehr.

Stefan  |  2001

SALLY HEMMINGS: AN AMERICAN SCANDAL

Joel McNeely

Prometheus

74:04 | 28 Tracks