Les rivières pourpres

Review aus The Film Music Journal No. 26/27, 2001

Der atmosphärischste Mystery-Thriller des Jahres kommt ausgerechnet aus Frankreich, einem Filmland, das man nicht gerade mit diesem Genre assoziiert: DIE PURPURNEN FLÜSSE bietet, ein sehr geschickter Schachzug, den coolsten Actionstar der Gegenwart auf. Jean Reno ist wie üblich die schroffe Verschwiegenheit selbst und motiviert allein schon den Kinobesuch. Dazu kommt ein erhaben abweisendes Gebirgspanorama in den französischen Alpen, wo sich eine Privatuniversität befindet, in der eine neue Herrenrasse gezüchtet werden soll. Sicher, auch dieser Film strotzt vor Ungereimtheiten und tapert recht hilflos in sein holprig inszeniertes Finale hinein. Bis dahin ist man aber längst gefangen von den maroden Behausungen und der grimmigen Kälte allerorten, und es vergeht immerhin die Hälfte der Spielzeit, ehe die beiden Handlungsstränge und mit ihnen die Protagonisten aufeinandertreffen.

Ich habe den Film zweimal gesehen und daraufhin die Musik gekauft, obwohl klar war, daß sie mir in der heimischen Stereoanlage weniger gefallen würde als im Kino. Aber diesmal gilt eben das Souvenir-Argument, und die recht bedrohlich klingende Musik evoziert sofort die Erinnerung an die Bilder und deren außergewöhnliche Atmosphäre. Bruno Coulais heißt der Urheber und gehört zu den meistbeschäftigten französischen Filmkomponisten der Gegenwart. Sein Score ist für Orchester gesetzt und wird von den Pariser Philharmonikern interpretiert, die sich zwar nicht mit ihren Kollegen in Amsterdam, Wien oder Berlin messen können, jedoch für eine respekterheischende Darbietung sorgen.

Als zweite Schicht kommt ein Elektronikanteil hinzu, der mit eigenen, durch den Raum wandernden Klangereignissen aufwartet. Die Kombination akustischer und elektronischer Anteile gelingt vorzüglich und weist diesen Score als experimentierfreudiges Produkt unserer Zeit aus. Deshalb dürfte er konservativen Melodiefans weniger zusagen als aufgeschlossenen Hörern, die nicht schon am Beginn einer Phrase wissen wollen, wie sie endet. Als thematischer Mittelpunkt fungiert eine minimalistische, nach zwei Minuten des ersten Tracks einsetzende Idee, die sich verschiedentlich wieder meldet und im Film für die passende Nervosität sorgt. Ansonsten wechseln mikrotonale Streicherfelder mit deftigen Akzente Schlaginstrumente und kurzen agitierenden oder langgezogenen Orgelpunkten, denen bisweilen der harmonische Überbau abhanden kommt. Coulais› Musik zu LES RIVIÈRES POURPRES ist nicht nur ihrer instrumentalen Form wegen bemerkenswert und verträgt auf ihrer Wandlungsfähigkeit viele Wiederholungen, ohne sich abzuschleifen.

Matthias  |  2001

LES RIVIÈRES POURPRES

Bruno Coulais

Virgin France

55:08 | 27 Tracks