Reel Life: The Private Life of Film Composers Vol. 1

Review aus The Film Music Journal No. 22/23, 2000

Es war lange einmal Zeit für eine solche CD. Denn während von früheren Hollywoodkomponisten (Korngold, Rózsa, Moross) auch konzertante Werke erhältlich sind, drang von ihren Nachfolgern bislang kaum etwas an die Ohren, das nicht als funktionale Musik für Spielfilme gedacht war. Es mag ja sein, daß einige Hollywood-Computermeister kaum imstande sind, eine einfache Kadenz aufs Papier zu bringen und nur mit einem Ghostwriterteam arbeiten können. Das gilt aber längst nicht für alle, und so kommt die vorliegende CD, Startsignal für hoffentlich eine ganze Serie mit konzertanten Werken von Filmmusikkomponisten, gerade recht.

Das erste Album führt den zweideutigen Titel REEL LIFE. Zweideutig deshalb, weil man nur lesend den Unterschied zwischen «reel» und «real» wahrnimmt, ansonsten auf den Kontext angewiesen ist. Was also gilt es hier zu entdecken: das «wahre» Leben von sechs Filmkomponisten? Oder ein Leben im Zeichen der «Reel», der Filmspule9 Abgesehen von Bob James, eher Jazzmusiker als Filmkomponist, dürften die Namen allseits vertraut sein: da ist David Raksin, letzter Dinosaurier des «goldenen» Zeitalters, außerdem die Oscarpreisträger Rachel Portman und Michael Kamen —und die beiden führenden Hollywoodkomponisten der letzten fünfzehn Jahre, Bruce Broughton und Howard Shore. Sie alle zeigten sich begeistert, als Arabesque Records ihnen anbot, ausgewählte Kompositionen auf CD herauszubringen.

Ein kleines Ensemble mit dem unüberbietbar treffenden Namen «Music Amici» spielt in wechselnden Besetzungen, aber auf gleichbleibend herausragendem Niveau die zwischen drei und elf Minuten langen Stücke. Leider schießt der ausführliche Booklettext zunächst ein Eigentor, wenn er die unterste Klischeeschublade herauszieht: «…die hier gespielte Musik zeigt, daß diese talentierten Künstler mehr zu sagen haben als ihnen während ihrer Arbeit für das Kino möglich ist.» Da haben wir sie wieder, die Vorstellung, Filmmusik leide unter ihrer Aufgabe, könne sich nicht nach eigenen Gesetzen entfalten. Nun, dann entfaltet sie sich eben anders. Sicher gibt es viele Filmmusikabschnitte, deren Energiekurve jäh abgebrochen wird, wofür dann keine harmonische Rückung, sondern ein dramaturgischer Sprung verantwortlich sein mag. Wer aber die Scores von Kamen und Portman kennt, weiß, daß sich ihre Stücke ohne jede weitere Bearbeitung auch im Konzertsaal spielen liessen. Und ihre hier versammelten Einfälle schlagen keineswegs ein neues Kapitel auf. Portman etwa vertraut in ihrer herzenswarmen Rhapsody für Violine, Klarinette und Klavier demselben Instrumentarium, das ihre Filmscores prägt. Dasselbe gilt für den Tonsatz. Wenn es überhaupt einen Unterschied gibt, dann würde ich ihn als Steigerung bezeichnen: Rhapsody ist das schönste Stück, das ich je von Mrs. Portman gehört habe.

Broughton und Shore verwenden hingegen modernere Mittel, was ja auch nicht weiter überrascht, wenn man ihre Filmpartituren kennt. Anläßlich der Geburt seines Enkelkindes hat Opa Broughton eine fünfteilige Suite «A Primer for Malachi» komponiert und darin nach alten Vorbildern die Lebensstationen von der Geburt über Jugend, «mittlere» Jahre, Reife und Alter eingefangen, dabei die thematischen Elemente immer weiter variiert. Mein Lieblingsstück auf der CD stammt allerdings von David Raksin, dessen Gesamtwerk nach wie vor zu wenig beachtet wird —und nicht nur das: auch die Filmmusikzeitschriften bemühen sich derzeit nicht im geringsten darum, den letzten lebenden A-Komponisten der großen Studiozeit zu umhegen, zu porträtieren, zu interviewen, seinen Stil zu umreißen.

Wo sind Kendalls Raksin-CDs und -Artikel? Nein, lieber noch mal den Echoplex-Score und eine weitere PHANTOM MENACE-Kolumne; da kriegt man wirklich Phantomschmerzen. Trösten wir uns mit Raksins «A Song After Sundown», einem zartgebauten eindrucksvollen Kammermusikstück für gemischte Bläser-Streicher-Besetzung. Schönbergs Verklärte Nacht, die transparenten Partituren von Delius und Copland sowie Pfitzners Sextett klingen an, aber nicht als direkte Einflußquellen, sondern eher deshalb, weil ihre Kombination von Harmonik, Melodiebildung und Instrumentation recht nahe scheint. Gelassene, befreit wirkende Musik, der man sich immer wieder anvertrauen mag —und weitertreiben, irgendwohin. Ach ja: Sollte der Filmmusikhändler behaupten: „die CD gibt’s nicht» (immer wieder beliebter Spruch), so empfiehlt sich ein Besuch auf der Internetseite des Labels.

Matthias  |  2002

 

REEL LIFE: THE PRIVATE LIFE OF FILM COMPOSERS Vol. 1

Various

Arabesque Records

69:17 | 12 Tracks