Raggedy Man

Mit Sissy Spacek, Eric Roberts und Sam Shepard in den Leads zwar beachtlich besetzt, ist dieses Drama von 1981 trotzdem weder der breiten Öffentlichkeit noch dem Cineasten ein grosser Begriff. Angesiedelt 1944 in der texanischen Kleinstadt Gregory, handelt der Film von Nita, der alleinerziehenden Mutter zweier Söhne, die von einer Telefongesellschaft unter falschen Versprechungen an einen 24-Stunden-Job gebunden wird. Als sie sich in einen in Gregory gestrandeten Seemann verliebt, passt das ein paar Kerlen, die ein Auge auf sie geworfen haben, überhaupt nicht in den Kram. Und dann ist da noch der geheimnisvolle, titelgebende Charakter.

Was Jerry Goldsmith in die rund 34 Minuten von RAGGEDY MAN hineinpackt, ist schon ganz erstaunlich. Frieden und Geborgenheit vermittelt der «Main Title», wo Flöte, Gitarre, Mundharmonika und schliesslich die Streicher das sanfte Hauptthema darbringen, dann kommt durch Kirmesmusik mehr Bewegung, aber immer noch das Gefühl einer heilen Welt ins Spiel. Dies findet in «Henry & Harry» durch mexikanische Folklore zunächst seine Fortsetzung, dann kippt die Stimmung durch bedrücktere Bearbeitungen des Hauptthemas und das kurze Erscheinen des ominösen Raggedy-Man-Motivs. Diese Atmosphäre wird durch ein melancholisches Nebenthema in «Number Please» wiederum weitergeführt, bevor Atonalität, Suspense und Dramatik den Track nochmals merklich verdüstern.

In «The Kite» wendet sich die Stimmung ins Positive und Verspielte, und wenn sich aus der zurückkehrenden Kirmesmusik ‒ vermischt mit Amerikana, die man in dieser Art auch aus Goldsmith-Western kennt ‒ das Hauptthema schält und sich kontinuierlich aufbaut, sorgt das für angenehme Gänsehaut und einen emotionalen Höhepunkt. Immer noch teils verspielt, aber zeitweise ausserhalb der Wohlfühlzone, hat mit «Runaways» auch der längste Track einiges in petto, unter anderem Americana-Passagen und kurze Mundharmonika-Einwürfe, die an MAGIC erinnern. In «Mexican Tune» erklingt wieder mittelamerikanische Folklore, diesmal mit Gesangseinlage, «End of Calvin» stellt zunächst mit einer JAWS-artigen Zweitonfigur Horror-Elemente in den Mittelpunkt, dann folgt ein elegischer Epilog mit dem Raggedy-Man-Motiv und dem Hauptthema in einer Bearbeitung, die es in die Nähe des Carol-Ann-Themes aus POLTERGEIST rücken lässt. «End Title» schliesslich kehrt stimmungsmässig zum Ausgangspunkt des Scores zurück.

RAGGEDY MAN ist ein kleiner, feiner Goldsmith, der ungerechterweise nicht nur das Pech hat, einem wenig bekannten Film zuzugehören, sondern bisher auch nur auf streng limitierten Tonträgern veröffentlicht worden zu sein, was es selbst Hardcore-Fans des Komponisten sehr schwer macht, ihn zumindest in physischer Form kennen und schätzen zu lernen. Auch diese jüngst erschienene Varèse-Club-CD aus der «Encore»-Reihe soll bereits schon wieder ausverkauft sein. Inhaltlich ist sie identisch mit der CD von 1991, bei der es sich übrigens um die erste Club-Veröffentlichung eines Goldsmith handelte. Und diesmal ist es der letzte Goldsmith unter der Ägide von Robert Townson. Nach 35 Jahren hat er Varèse Sarabande verlassen, und damit endet eine bedeutende Ära auf dem Gebiet der Filmmusikproduktion. Ein Fakt, der diese CD natürlich noch etwas spezieller macht.

Andi, 18.4.2019

 

RAGGEDY MAN

Jerry Goldsmith

Varèse Sarabande Encore
VCL 0219 1193

33:46 Min. / 8 Tracks

Limitiert auf 1000 Stk.