Possession

Review aus The Film Music Journal No. 30, 2003

Die echten Romantiker scheinen auszusterben. Und zwar nicht nur unter den Komponisten, sondern auch unter den Filmmusiksammlern. Wie anders mag man sich die vielfach vorgetragenen Äußerungen zu Yareds POSSESSION-Soundtrack erklären, die da behaupten, der Score sei viel zu lang geraten und man könne die CD nicht an einem Stück durchhören. Im Gegenzug könnte man gut und gerne auf mehrere geradezu nicht enden wollende Filmmusik-Scheiben des Jahres 2002 verweisen, für die auch illustre Tonschöpfer wie James Horner oder Howard Shore ihre Namen bereitgestellt haben.

Diesen Vorwurf kann man Yareds genußvoll dahinschwelgendem Opus nun in keinster Weise machen, denn man beachte, wie facettenreich und sensibel er seine Themen über 67 Minuten hinweg instrumentiert und welch differenzierten elegischen Tonsatz er durch den steten Wechsel von kammermusikalischer Besetzung mit leidenschaftlich sich aussingenden Orchestertuttis aufzufachen versteht. Allerdings muß sich der Hörer mit voller Konzentration darauf einlassen, für eine volle Stunde in das Reich feinsinniger und entrückter Romantik abzutauchen. Gabriel Yared ist für mich neben Luis Bacalov der Filmmusik-Aufsteiger der letzten paar Jahre und dazuhin einer der wenigen, dem es mit großem lyrischem Impetus gelungen ist, seine eigene französisch anmutende Klangsprache auch bei seinen Hollywood-Scores beizubehalten. Denn schon nach nur wenigen Takten hört man es einfach an der Melodieführung und Instrumentierung sofort, daß diese Komposition nie im Leben von einem Amerikaner hätte geschrieben werden können.

Nach seinem bezirzenden und ausladenden Score zu MESSAGE IN A BOTTLE (1998) hat er für POSSESSION eine ähnlich üppig melodische Arbeit abgeliefert, die aber in Teilen noch subtiler und introvertierter angelegt ist und sich im wesentlichen um das in Track 1 als satte italienische Opernkantilene – bravourös dargeboten vom Tenor Ramon Vargas – angelegte Hauptthema (Aria) gruppiert. Wie in Message spielen auch in Possession Liebesbriefe eine zentrale Handlungsrolle. Wurden sie in Message per Flaschenpost verschickt, so handelt es sich in POSSESSION um die zweier Liebender während der viktorianischen Ära im England des 19. Jahrhunderts, die wiederum von zwei modernen Literaturwissenschaftlern entdeckt werden, woraus sich eine erneute Liebesaffäre innerhalb der Gegenwart entwickelt. Es dürfte daher also kein Zufall gewesen sein, daß Regisseur Neil La Bute für seine mit zwei Zeitebenen jonglierende Romanze, die im vergangenen Herbst an der Kinokasse totalen Schiffbruch erlitt, auf den in diesem Genre bereits ausreichend erfahrenen Yared als Komponisten zurückgriff.

Nicht nur hat Yared ein traumhaftes, melancholisches Hauptthema ersonnen, das von der voll besetzten Streichersektion im ersten und letzten Track der CD in üppig ausladendem Gestus ins schönste Licht gerückt wird. Er läßt es auch in mannigfacher Gestalt, sei es als sanft sich wiegenden Walzer («Gentle Possession») oder in einer Fassung für Streichquartett (Track 12), über die Partitur verstreut auftauchen und bezaubert desweiteren durch ein intimes zweites Thema, das er hauptsächlich Klavier, Klarinette und Oboe anvertraut und das erstmals in Track 4 «Discovering the Letters» in Erscheinung tritt. Pastorale Elemente, wie die an Rózsa erinnernden impressionistischen Streicherfelder («Maud and Roland in Yorkshire»), und der unablässige Einsatz lyrischer Soloinstrumente bringen weitere besinnliche Ruhepunkte mit ins Spiel. Durchgehend vermittelt die Komposition so ein Gefühl von Innigkeit und melodischer Wärme, die man bei heutigen Filmmusiken im Grunde viel zu selten antrifft. Mich persönlich hat im vergangenen Jahr kein aktueller Soundtrack dermaßen bewegt wie POSSESSION, und jedem, der sich in melodischem Wohlklang baden möchte und der dazuhin kammermusikalischen Finessen nicht abgeneigt ist, kann man die CD nur dringendst zum Kauf empfehlen.

Stefan  |  2003

POSSESSION

Gabriel Yared

RCA

67:04 | 21 Tracks