Pierre Jansen Sampler

Review aus The Film Music Journal No. 30, 2003

Ähnlich wie sein fünf Jahre älterer Kollege Antoine Duhamel, der ebenfalls bei Olivier Messiaen studierte, hatte auch der 1930 geborene Franzose Pierre Jansen in den 50er Jahren seine musikalische Karriere mit Konzertwerken im Stil der Zwölftontechnik begonnen. Durch die Begegnung mit Regisseur Claude Chabrol kam er 1960 zur Filmmusik, was für ihn laut eigener Aussage zunächst einen schweren Bruch mit seiner bisherigen Konzertmusik darstellte, weil er dazu gezwungen wurde, Konzessionen zu machen und konventioneller zu komponieren. Chabrol selbst merkt im Booklet-Text dieses CD-Samplers, der sieben gemeinsame Filmarbeiten des Tandems Chabrol/Jansen in längeren Suiten vorstellt, über Jansen recht witzig an: “Zu der Zeit, als ich ihn kennenlernte, war er so etwas wie ein kleiner Ayatollah der Zwölftonmusik. Neben Jansen war Boulez eine Tänzerin mit Ballettröckchen!” Annähernd 30 Filme haben Chabrol und Jansen in den 60er und 70er Jahren zusammen gemacht und sind sich dabei künstlerisch immer näher gekommen, wobei Jansen selbst das Komponieren für den Film in zunehmendem Maße als Befreiung aus den Fesseln der Avantgarde empfand.

Für Chabrols Krimis aus dieser Zeit, die ironisch und distanziert das Intrigenspiel hinter der trügerischen Fassade der französischen Bourgeoisie aufdeckten, hat Jansen stets äußerst subtile und kongeniale Scores beigesteuert, die meist der Kammermusik verpflichtet sind und in den Filmen selbst nur sparsam eingesetzt werden. Den gewohnten Rahmen sprengt da schon fast die mit 18 Minuten längste Musik auf der CD zur exzentrischen Horrorfarce LA DÉCADE PRODIGIEUSE (1971), in der Orson Welles einen verbrecherischen Patriarchen spielt, der seine Frau und deren Geliebten in den Tod treibt. Jansen hat seinen Score zu einem eindrucksvollen Konzert für Orgel, Klavier und Orchester ausgearbeitet, das mit starken Dissonanzen, düsteren Harmonien und motivischen Repetitionen ein damönisches Klima der Bedrohung und der Dekadenz schafft, wie es dem surrealbarocken Film angemessen ist. Zum Teil wird dabei in den spannungsgeladenen Streicherakkorden eine starke stilistische Nähe zu Bernard Herrmann deutlich, aber auch impressonistische Einflüsse kommen zum Tragen. Jansens stets mit neuen Klangkombinationen und überraschenden Orchesterfarben aufwartende Musik wirkt hier keineswegs spröde, sondern äußerst lebendig und frisch und läßt sich durch ihren eigenwilligen Stil, der tonale und atonale Bausteine in ungewöhnlicher Weise einander gegenüberstellt, auch nur schwer einordnen.

Noch prägnanter kommt dies in den mit kleiner Besetzung (QUE LA BÊTE MEURE /1969, JUSTE AVANT LA NUIT /1971) oder gar mit einer Streichquartett-Formation (L’OEIL DU MALIN/ 1961) arbeitenden Kompositionen zum Ausdruck, in denen immer wieder schmerzliche und sehnsuchtsvoll sich aufbäumende Motive, die sich der Mahlerschen Spätromantik verpflichtet fühlen, sich im Widerstreit befinden mit harschen, schneidenden Rhythmen und Klangfolgen à la Bartok oder Strawinsky. Am weitesten hat Jansen sein intellektuelles Spiel bei Chabrols großartigem LE BOUCHER (1968) getrieben, der in einer kleinen Provinzstadt spielt, in der eine Reihe von Morden begangen wurde. Eine Lehrerin verliebt sich in einen schüchternen Schlachter und muß per Zufall feststellen, daß er der gesuchte Mörder ist. Kein Verbrechen wird in diesem Film gezeigt, es geht allein um die Darstellung der Unmöglichkeit, Liebe zu realisieren, und um die psychologisch genaue Charakterisierung der Personen. Rein mit irisierenden, abstrakten Klangtrauben, und einer wahrlich mehr als ungewöhnlichen Instrumentierung (unter anderem Glocken, Vibraphon, Sitar, E-Gitarre, elektronische Orgel und Harfe) malt Jansen über 11 Minuten hinweg das faszinierende Porträt der Psyche dieses Menschen, die auf einer archaischen, ja barbarischen Stufe stehengeblieben ist. Wie vielseitig Jansen für Chabrol komponieren konnte, stellen hingegen die beiden Arbeiten zu LANDRU (1962) und DOCTEUR POPAUL (1972) unter Beweis. Bei ersterem, der Geschichte um den berühmten franzöischen Frauenmörder, hat er mit hörbarem Augenzwinkern leicht parodistisch getönte Walzer im Stil der Belle Epoque eingefügt, bei letzterem bringt er gar ein kurzes Barockkonzert («Popaul Mélomane») und ein flott dahingleitendes Pop-Thema im Morricone-Stil («Docteur Popaul») zu Gehör.

In den letzten Jahren hat sich Jansen fast gänzlich aus dem Filmgeschäft zurückgezogen. Ein schwerer Verlust für die französische Filmmusik, die dadurch eines ihrer größten Talente verlor – auf dieser CD ist dies eindrücklich nachzuhören.

Stefan  |  2003

PIERRE JANSEN SAMPLER

Pierre Jansen

Universal

72:15 | 16 Tracks