Review aus The Film Music Journal No. 17/18, 1999
In Deutschland wird der Nationalsozialismus samt Folgen noch bei jeder Gelegenheit auf dem äußersten emotionalen Level diskutiert, wie die Walser-Bubis-Debatte Ende 1998 neuerlich gezeigt hat. Ganz anders sieht es da in Frankreich aus, wo man sich lange als Kriegsgewinnler fühlte und von braunen Flecken auf der Tricolore nichts wissen mochte. Mahnende Stimmen überhört man auch heute noch gern, wiewohl die Diskussion um Frankreichs zwiespältige Rolle zu Beginn der vierziger Jahre durchaus existiert. Als die Wehrmacht 1940 einrückte, waren nicht alle Franzosen auf dem Widerstandsposten. Ein nicht gerade verschwindend geringer Teil des Volkes kollaborierte mit den braunen Machthabern, bekannt geworden als Vichy-Franzosen. Ihr Anführer, der Marschall PÉTAIN, stand vor wenigen Jahren im Mittelpunkt eines Films, welcher sich des Themas annahm.
Hier interessiert allein die Musik des zwischenzeitlich verstorbenen Georges Garvarentz, dessen starke Niveauschwankungen innerhalb seines Schaffens sicher auch dem nicht sonderlich großen Bekanntheitsgrad außerhalb Frankreichs Vorschub geleistet haben. Auch die Orchesterpartitur zu PÉTAIN ist davon nicht auszunehmen. Garvarentz versteht es, seine Stilunsicherheit in mannigfachen Instrumentationswechseln zu verschleiern. Kennt man den Film nicht, so muß man jedenfalls davon ausgehen, daß versucht wurde, die Figur des Marschalls nicht grundsätzlich negativ zu zeichnen, vielmehr als Charakter von tiefer Zerrissenheit. Obgleich die Komposition ihre tonalen Zentren stets im Auge behält, werden die gefühlsbeladenen Streicherfelder mit dissonierenden Störfarben der reinen Schönheit enthoben. Für das Lamento hat Aïda Garvarentz den Solovokalpart auf der Silbe «na» übernommen, ein Chor wogt dazu im Hintergrund. Es gibt faszinierende Momente in dieser Komposition, vor allem dann, wenn – wie in «Desolation» – über einem gleichmäßig schreitenden Untergrund die Violinen ihr Klagelied verbreiten, zu kitschig, um als neobarocke Bach-Nachfolger gelten zu können, im Innersten aber wohl auf dessen Fährte. Schade, daß Garvarentz sein immenses Talent nicht zu wirklicher Größe entfalten vermocht hat.
Matthias | 1999
PÉTAIN
Georges Garvarentz
Milan
37:02 | 14 Tracks