Our Planet

Die Natur wartet mit atemberaubenden Geschichten, Kreaturen, Synergien und Kräften auf. Fasziniert und nicht selten sprachlos geniesse ich seit Jahren die bildgewaltigen Dokumentationen von National Geographic und BBC Earth. Diese Begeisterung für Naturdokus hat bereits in den späten 1980er und den frühen 1990er Jahren mit den Filmen von Jacques-Yves Cousteau angefangen – mit Musik u.a. von William Goldstein, Vangelis und John Scott – und jüngst habe ich mir nun den 8-teiler OUR PLANET (2019) von Netflix angeschaut. Sogar zwei Mal! OUR PLANET ist wirklich sehenswert – und seit dem Earth Day 2020 gratis auf dem YouTube-Kanal von Netflix verfügbar. Diese Doku-Serie macht betroffen, versetzt in Staunen und bringt einem zum Schmunzeln. Die überwältigenden Bilder werden begleitet von der ikonischen Stimme des Natur-Doku-Übervaters Sir Richard Attenborough und einer kraftvollen und poetischen Filmmusik von Steven Price.

Auf den Schriftsteller und Komponisten E.T.A. Hoffmann gehen folgende Worte zurück «Wo die Sprache aufhört, fängt die Musik an.» Beachtliche Worte, die sich auch in Bezug auf die Filmmusik immer wieder bewahrheitet – auch wenn die Musik hier nie allein, sondern mindestens zusammen mit dem Bild «auftritt». In Naturdokumentationen darf die Musik oftmals besonders viel Platz einnehmen. Nicht nur, weil viele Dokumentationen gemäss dem Wall-to-Wall-Prinzip fast durchgehend vertont sind. Sondern insbesondere auch deshalb, weil die Erzähler das gezeigte Spektakel – zum Glück – immer mal wieder unkommentiert lassen und die Musik somit die Tonspur gänzlich ausfüllen darf. Die Kombination aus Naturaufnahmen und Musik erzeugt dabei, meiner Meinung nach, oftmals ganz besondere Reize – dem Flug über die Alpen und durch Canyons, dem kräftezehrenden Überlebenskampf in der Serengeti, dem Gewusel im Ameisenhaufen, der gespenstischen Tiefe der Weltmeere und den kalbernden Gletschern an den Polkappen verleihen majestätische, dramatische, verspielte, unheimliche Klänge den finalen Kick. Die wissenschaftlichen Kommentare dazu in Ehren, aber solchen Szenen wird allem voran Musik gereicht. George Fenton schrieb fantastische Musik für Orchester und Chor für Dokus und Dokureihen wie THE BLUE PLANET (2001), DEEP BLUE (2003) und FROZEN PLANET (2011). Weitere hervorragende Arbeiten in diesem Genre: Kolja Erdmanns RUSSLAND (2011), Sarah Class’ AFRICA (2013), Panu Aaltios TALE OF A FOREST (2013) und TALE OF A LAKE (2016), Matthjis Kiebooms WILD. HEART OF HOLLAND (2018), Nainita Desais UNTAMED ROMANIA (2019), Ramin Djawadis ELEPHANT (2020) und eben Steven Prices OUR PLANET, nachdem er auch bereits zum BBC-Mehrteiler THE HUNT (2015) tolle Klänge komponiert hatte.

Das 2-CD-Set zu OUR PLANET ist eine Highlights-Zusammenstellung aus insgesamt rund 6 Stunden Musik. Decca Records hat in den USA neben diesem 2 CD-Set auch den kompletten Score jeder OUR PLANET-Folge einzeln als Digital Download veröffentlicht. Das CD-Programm mit über 140 Minuten Musik dürfte als gelungene Zusammenstellung indes ausreichen. Besonders die Episoden «One Planet» (Episode I), «Jungles» (Episode III), «Coastal Seas» (Episode IV) und «High Seas» (Episode VI) warten mit vielen musikalischen Höhepunkten auf. Die Musik zu «Deserts and Grasslands» (Episode V) empfand ich als am wenigsten spektakulär – nicht zuletzt wohl auch deshalb, weil sich der Zuschauer in dieser Folge immer wieder mit Raubtieren auf die Pirsch begibt, wobei die Musik eher im pulsierenden Spannungsmilieu spielt, als dass sie mit poetischen Themenstatements aufwartet. Das musikalische Portrait der «Frozen Worlds» erfolgte mit mehr Synthi-Effekten und teils verfremdetem Gesang – passend zu den Bildern, aber weniger «farbenfroh» im Klang als die Musik zu anderen Episoden.

Damit das Hörerlebnis kurzweilig und abwechslungsreich bleibt, sind die Stücke auf den CDs nicht in chronologischer Folge angeordnet. Eher ruhige und mystische Stücke wie «An Unknown Signal», «Frozen Worlds», «Chernobyl» und «Arctic Refugees» wechseln sich mit verspielten Musikmomenten wie «Every Year There Are Others», «Leaf Cutters», «Signature Moves» und «He Wins Her Approval» ab. Die zwei mitreissendsten Stücke dürften «Great Rolling Waves» und «The Oceans Belong to Us All» sein. Besonders in «Great Rolling Waves» – meiner Meinung nach eines der besten Stücke des Filmmusikjahres 2019 – kommt das Hauptthema besonders eindrücklich zur Geltung. In Kombination mit dem Flug der Kormorane ab den windigen Klippen und hinaus aufs wild schäumende Meer zur Fischjagd haut die Musik schlicht um. Spannend ist auch das Stück «This Glacial Ice», jedoch mehr im Kontext der Bilder. Dieses ruhige, fast schon meditative Stück begleitet wuchtige Aufnahmen eines grönländischen Gletschers, an dessen kilometerlangen Gletscherzunge ungeheure Mengen Eis abbrechen. Dem kraftvollen Spektakel wohnt viel Dramatik inne und die Musik begleitet dies kontrapunktisch aber passend mit viel Wehmut, denn die gigantischen Gletscherabbrüche nehmen in der Folge der Erderwärmung zu und sollten in dieser aufgezeigten Dimension und Häufigkeit nicht auftreten.

Abschliessend möchte ich noch auf eine andere besonders beklemmende Szene hinweisen: die Landgänge der Walrösser in Episode 2, «Frozen World». Wegen schwindendem Meereis – gemäss OUR PLANET-Kommentar – müssen sich tausende Tiere ausschliesslich auf kleinen Landmassen ausruhen. Das vorherrschende Gedränge entlang den Küsten könne tödlich sein, weshalb Walrösser vermehrt weg von der Küste auf felsigen Anhöhen Platz zum Ausruhen suchen. Wenn sie später zurück ins Meer wollen, stürzen sie über die felsigen Klippen und verletzen sich dabei nicht selten tödlich. Diese Szene ist furchtbar anzusehen und was sie besonders beklemmend macht, ist die Tatsache, dass hier weder Musik noch Soundeffekte zu hören sind. Steven Price sagte in einem Interview, dass er hierfür mehrere musikalische Ansätze ausprobiert habe, doch hier habe nichts besser gewirkt als die Stille – keine Musik, kein Kommentar, keine Soundeffekte.

Den Abschluss des Albums macht der Song «In this Together», gesungen von Ellie Goulding, die den Song zusammen mit Steven Price, Joe Kearns und Jim Eliot geschrieben hat. Die Songtexte sind politisch und appellieren an den Menschen, den Klimawandel ernst zu nehmen. Passend, aber kein Überflieger. Fazit: Während neun bis zehn Monaten hat Steven Price an OUR PLANET gearbeitet, wie er in einem Interview gesagt hat. Dabei gelang ihm eine Filmmusik für Orchester, Chor, Sologesang und Synthesizer, die facettenreich ist, wiederkehrende Themen präsentiert und mal episch, mal intim ausgestaltet wurde. Was will man mehr?!

Basil 12.5.2020

Basil, 12.5.2020

OUR PLANET

Steven Price

Decca Records (Universal Music)  

146:27 Min. (2 CDs)
40 Tracks