Nachdem es Intrada gelungen ist, die lange fest verriegelten Türen von Disneys Musikarchiv zu öffnen und sich sogleich die dicksten Fische zu angeln, war es nur eine Frage der Zeit, bis mit One Little Indian(1973) ein bisher gänzlich unveröffentlichter Goldsmith das Licht des Tages erblicken würde. Da der dazugehörige Film zumindest bei uns äusserst selten bis nie ausgestrahlt wird, dürfte dieser Score selbst für viele eingefleischte Fans des Komponisten völlig unbekannt sein. Das hält aber gerade bei Jerry Goldsmith niemanden davon ab, pfeilschnell zuzugreifen; trotz einer Auflage von 3000 Stück war der rasche Ausverkauf deshalb vorprogrammiert.
One Little Indian erzählt vom Deserteur Clint Keyes (James Garner), dem sich im Laufe seiner Flucht der junge Mark (Clay O’Brien) sowie zwei Armee-Kamele anschliessen. Dass der Film wohl eher leichte Familienunterhaltung bietet, hört man der Musik in keinster Weise an, denn Goldsmith liess es sich auch hier nicht nehmen, mit treibenden Rhythmen und komplexen Kabinettstücken im Actionbereich einen seiner typischen Genrebeiträge zu schaffen.
Einmal mehr setzt Goldsmith nebst einem Standardorchester seine für Western bevorzugten Instrumente wie Gitarren, Mundharmonikas und massenweise Percussion ein; damit bewegt sich der Score zunächst auf vertrautem Terrain, auch weil da und dort Reminiszenzen an frühere Westernmusiken des Komponisten zu vernehmen sind. Trotzdem hat Goldsmith wieder Erstklassiges zu bieten: zum energischen und markanten Hauptthema gesellt sich bald das entzückende Thema für Mark, das nach und nach an Bedeutung gewinnt und an dem man sich dank zahlreicher, stimmungsreicher Solodarbietungen nicht so schnell satthört.
Es gibt jedoch einen Aspekt, der diesen Score aus der Reihe der übrigen Goldsmith-Western tanzen lässt: seine Exotik. Und ich spreche hier nicht von der gediegenen Cheyenne-Musik mit Flöten, Harfe und Xylofon, sondern von orientalischen Klangkörpern wie Sitar und Tabla. Zu verdanken haben wir dies den Kamelen, denen Goldsmith viel Aufmerksamkeit schenkt. Die Tiere scheinen für einige Comedy-Elemente des Films besorgt zu sein und damit das Humorzentrum des Komponisten zu treffen. Goldsmith – nicht immer ein Meister auf diesem Gebiet – parodiert für sie nicht nur das Hauptthema aus Lawrence of Arabia, sondern sehr köstlich und anschaulich auch die Bewegungen und Laute der Viecher. Sollte es den Begriff «Weastern» noch nicht geben – für diesen Score müsste man ihn erfinden.
Wer nicht wachsam genug war und die CD verpasst hat, sollte durchaus nach verhältnismässig günstigen Angeboten Ausschau halten. Auch wenn One Little Indian nicht zu den wirklich wichtigen Werken Goldsmiths gehört, ist dies doch eine äusserst originelle Filmmusik, die auf exemplarische Weise Action und Abenteuer, Exotik, Witz und Gefühl in sich vereint. Der Klang ist ausgezeichnet, und das schön gestaltete Booklet wurde vom gewohnt eloquenten Jeff Bond getextet.
ONE LITTLE INDIAN Jerry Goldsmith Intrada Special Collection Volume 97 51:09 Min. / 15 Tracks
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