Marlon Brandos einzige, umstrittene Regiearbeit ist allein schon wegen ihres Entstehungsprozesses ein faszinierendes Objekt. Usprünglich sollte der Film auf «The Authentic Death of Hendry Jones» basieren, und die Leinwandadaption von Charles Neiders Roman über Billy the Kid wurde Sam Peckinpah anvertraut. Als Brando Stanley Kubrick als Regisseur verpflichtete, bestand dieser zunächst auf tiefgreifenden Änderungen am Drehbuch, die sein Freund Calder Willingham vornehmen sollte, und so wurde ein am Boden zerstörter Peckinpah kurzerhand gefeuert.
Weil Kubrick wegen künstlerischen Differenzen die Produktion schliesslich verliess, übernahm Brando persönlich die Verantwortung. Nicht nur entfernte sich der exzessive Schauspieler immer mehr von der literarischen Vorlage, sondern er nahm auch keinerlei Rücksicht auf Geld, Zeit und Zelluloid. So stemmte er ein Filmmonstrum aus dem Boden, das laut Hugo Friedhofer eine Laufzeit von fast sieben Stunden hatte. Der daraus zusammengeschnittene, knapp fünfstündige Director’s Cut war den immer nervöser werdenden Paramount-Bossen aber immer noch deutlich zu lang, Brando wurde freigestellt und Studio-Cutter kürzten den Film nochmals erheblich.
So entstand schliesslich eine ungefähr 135-minütige Fassung, von der Hugo Friedhofer sehr angetan war, und die ihn zu einem seiner grossartigsten Scores inspirierte. Da der Streifen in dieser Form bei Previews trotzdem durchfiel, wurden abermals Änderungen vorgenommen, bei denen auch die Musik nach Gutdünken der Verantwortlichen hin und her verschoben wurde, sehr zum Schrecken des Komponisten, dem beim Anschauen des finalen Produktes beinahe schlecht wurde.
Alles, was Friedhofer zur Ehrenrettung seiner Musik blieb, war deren Veröffentlichung auf LP: «Das ist der wirkliche Score von One-Eyed Jacks, minus ungefähr 45 Minuten Musik», erklärte er leicht verbittert. Schade, dass er nicht mehr erleben darf, dass nun ‒ nach fast fünfzig Jahren ‒ diese restlichen 45 Minuten aus ihrem Dornröschenschlaf erweckt wurden, denn er hätte vermutlich, versteckt hinter einem markigen Spruch, spitzbübische Freude an dieser Doppel-CD gehabt.
Auf CD 1 serviert uns Bruce Kimmel das superbe LP-Programm, das punkto Hörfluss die Nase vorn behält, während der auf CD 2 präsentierte, klanglich untadelige und komplette Score mit zusätzlichen kompositorischen Finessen auftrumpft, die jeden Friedhofer-Fan entzücken dürften.
One-Eyed Jacks ist in vielen Belangen ein unkonventioneller Westernscore. Das beginnt schon mit dem Main Title, dessen prachtvoll sich entfaltendes Hauptthema eher an Herzensangelegenheiten denken lässt als an Pferde und Prärie. Bluesige Soli von Trompete oder Klarinette und heftige, einen steten Herd der Unruhe und Konfliktbereitschaft entfachende Blech- und Percussion-Auftritte wären auch hervorragend für ein urbanes Drama geeignet. Zuweilen herrmanneske Waldhörner lassen dann schon eher an offene Weiten denken. Mariachi-Klänge und ein wundervolles mexikanisches Liebesthema, vorzugsweise mit Gitarre, gehören zu den weiteren, klassischen Westernmusik-Utensilien, die Friedhofer einsetzt.
In der Geschicklichkeit, auch den vollen Orchesterklang stets transparent zu halten, macht Friedhofer so schnell keiner was vor, und in der thematischen Bearbeitung unter Verwendung unzähliger, stimmungsvoller Soli ist dieser Score ein Musterbeispiel seiner Orchestrierkunst; eine Tatsache, die einen gerne immer wieder vor allem zu CD 2 greifen lässt, da sich gerade hier stets neue Facetten des dramatischen Aufbaus offenbaren. Und weil diesem Meisterwerk damit endlich Gerechtigkeit getan wurde, ist dies eine der bisher wichtigsten Veröffentlichungen von Kritzerland.
Als Kuriosum entpuppt sich einer der Bonus-Tracks auf CD 1, denn es handelt sich hierbei um das Hauptthema aus The Jayhawkers von Jerome Moross, der als Alternate Main Title zusammen mit den Bändern des Friedhofer-Scores gelagert wurde. Spätestens beim Durchhören dieses Tracks hätte Kimmel ein Licht aufgehen müssen, gehört Moross doch zu den unverkennbarsten Filmkomponisten. Die Ausrede, Friedhofer hätte auf Studiowunsch den Stil des Kollegen möglicherweise imitieren müssen, lassen wir mal so im Raum stehen, denn dieser Fehler ist eher amüsant als ärgerlich.
Mit einer Auflage von lediglich 1200 Exemplaren war ein schneller Ausverkauf leider vorauszusehen, und wer nicht rechtzeitig bestellen konnte, braucht jetzt vielleicht ein wenig Geduld. Die Spekulantenpreise für limitierte CDs sind nicht mehr ganz so hoch wie auch schon, und die jüngere Vergangenheit hat uns gelehrt, dass nicht auszuschliessen ist, dass populäre vergriffene Titel in ein paar Jahren von einem anderen Label wiederveröffentlicht werden.
ONE-EYED JACKS Hugo Friedhofer Kritzerland KR 20016-6 CD 1: 47:50 / 14 Tracks CD 2: 74:39 / 27 Tracks Limitiert auf 1200 Stk.
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