Review aus The Film Music Journal No. 4, 1995
Michael Nyman bearbeitete seine Filmmusik THE PIANO zu einem Piano Concerto um. Die folgenden Zeilen mögen ein Versuch sein, Zusammenhänge und mögliche Parallelen zwischen den beiden Werken aufzuzeigen Die im Text angeführten Zeitangaben entsprechen den Angaben der beiden genannten CDs.
Der Filmmusik liegen Klavierthemen zugrunde, die Nyman 1991 vorerst nur für das Klavier schrieb. Aufgrund dieses Klavierparts schuf Michael Nyman dann 1992 die eigentliche Filmmusik und schliesslich folgte 1993 – als Auftragsarbeit für das Festival de Lille – das Piano Concerto. Wie auch auf der vorliegenden CD übernahm bei der Uraufführung die Pianistin Kathryn Stott den Klavierpart.
Das Klavierkonzert selbst besteht nur aus einem Satz, wird aber in vier Abschnitte unterteilt. Um dem Inhalt des Filmes gerecht zu werden, liess Nyman schottische Musikelemente einfliessen. Beim Anhören des Soundtracks kristallisieren sich mehrere Themen heraus, die auch beim Klavierkonzert Verwendung fanden. Aus der Filmmusik seien erwähnt: «Big My Secret» (Track 2), «The Heart Asks Pleasure First» (Track 4) und «A Bed of Ferns» (Track 7). Nymans Musik ist wie ein Fluss: Alles fliesst, ist in Bewegung, Rhythmen und Melodien drängen vorwärts. Seine Musik erinnert mich immer wieder an den Soundtrack von KOYAANISQATSI von Philip Glass. Ein endlos fliessender Klangteppich.
Verhalten beginnt das Klavierkonzert, doch bald schon erklingt im Orchester das erste Thema aus dem Soundtrack (Track 7). Die Musik beginnt sich zu steigern, bis sich zum Orchesterklang auch Saxophone gesellen (2:45), dazu kraftvolle Attacken der Blechbläser. Doch plötzlich ein abruptes Piano, ein Schnitt (4:32), das Klavier leise und perlend. Immer wieder erscheint das zu Beginn gehörte Thema. Das Klavier verhält sich ruhig, bis es zu einem erneuten Ausbruch kommt (7:12). Wunderschön das Thema (Track 4), dominant und kraftvoll das Klavier, dunkel gefärbt die Streicher. Unruhige Momente, dann wieder ein Stocken im Orchester (9:30), doch stetig fliesst es weiter.
Ein neues Thema (Track 2), vom Klavier variiert getragen. Synkopen. Der erste Teil klingt aus, wonach das zu Beginn gehörte Thema von einer Trompete verhalten vorgetragen wird (11:50), Saxophon und Orchester, dazu das Klavier begleitend. Im dritten Teil (18:15) eröffnen kraftvolle Klavierakkorde, wobei nun «schottische» Einflüsse hörbar werden. Bässe und Celli schmachten im dunklen Hintergrund (20:30), bis eine wunderbar gesetzte Melodie der Celli beginnt (21:00). Leise taucht das Klavier wieder auf (21:40), bleibt zurückhaltend bis zum Beginn des vierten Teils.
Wuchtig erscheint wieder das Motiv (Track 2), und erneut scheinen keltische Elemente durch (27:10). Fast schwermütig erklingt nun das Klavier bei 29:04, wobei ich für einen kurzen Moment Rachmaninow-Klänge zu hören glaube. Mit wuchtig-herrlichem Orchester und Klavier endet das halbstündige Werk.
Nymans Musik überzeugt, denn er besitzt einen ganz persönlichen Stil, seine Musik lässt sich identifizieren. Mit dem Royal Liverpool Philharmonic Orchestra – unter der Leitung des Komponisten selbst – hat Nyman eine glückliche Wahl getroffen: Das Orchester überzeugt, spielt frisch und mit genügend Power. Das Textheft ist dreisprachig abgefasst (d/f/e) und bietet genügend Informationen. Im Weiteren findet sich auf der CD das Werk MGV (Musique a Grande Vitess), ebenfalls eine Auftragskomposition des erwähnten Festivals, zur Einweihung der TGV-Strecke. PS: Wer nach dieser Nyman-Musik so richtig Lust bekommen hat, dem sei unbedingt der Score zu PROSPERO’S BOOKS (Decca 425224) empfohlen. Ein weiterer Hörgenuss!
Andreas Schweizer | 1995
THE PIANO CONCERTO
Michael Nyman
Argo (Decca) 443382
32:28 | 9 Tracks