Review aus The Film Music Journal No. 20, 1999
Ein Cembaloarpeggio, dann zwischen Moll und Dur oszillierende Klavierakkorde. Eine wortlose Sopranstimme hebt ihren Klagegesang an, von den Violinen in fernen Höhen nachgezeichnet. So beginnt die «Vocalise» aus Wojciech Kilars Musik zum neuesten Polanski-Film, LA NEUVIÈME PORTE, in englischsprachigen Regionen THE NINTH GATE betitelt. Dieses Stück geht durch Mark und Bein, läßt im CD-Laden die Gespräche verstummen. Einzelne Leute fragen irritiert an der Kasse, was denn das für sterbenstraurige Musik sei.
Dem Filmmusikfan wird erst einmal die Nähe zu Morricones entsprechenden Kreationen auffallen, doch schreibt Kilar einen anderen Stil, ringt den Stimmen verzweifeltere Klänge ab als der italienische Kollege; erst recht in den nachfolgenden Abschnitten, wo er mit einer verstärkten Kontrabaßfraktion lichtlose Klangfelder bestellt. Ein rhythmisch markantes Trompetensolo («Corso») wirkt da schon greifbarer. Zumeist setzt Kilar auf knapp formulierte Gestalten, die sich nicht in achttaktige Schemata pressen lassen, sondern sequenzartig wuchern und mit Vorliebe unheilvolle Stimmung verbreiten. Lianas «Thema» reiht eigentlich nur in bester Herrmann-Tradition Viertonmotive aneinander, harmonisch ziellos, undynamisch und mit langem Atem ausgestattet.
Beim ersten Hören mag LA NEUVIÈME PORTE über die Vokalise hinaus etwas eintönig wirken, das ändert sich aber mit den Wiederholungen, weil nun die Veränderungen von Stück zu Stück erfahrbar werden: wechselnde Rhythmik, Instrumentation, Melodik, Thematik. Ein musikalisches Stationendrama, im Booklet sehr originell illustriert durch neun historische Stiche, über deren Verbindung zum Johnny-Depp-Film man aber nur spekulieren kann, solange dessen Idee noch keine Konturen in heimischen Kinos angenommen hat.
Sehr interessante, oftmals verstörend-intensive Musik, die ständig den Eintritt irgendeines Ereignisses abzuwarten scheint, was aber nie passiert. Die mehrfachen Einlagen des Soprans sind weniger als Leitmotiv denn als fatalistisches Zeichen zu verstehen. Modern gedacht, aber keineswegs atonal modern komponiert. Empfehlenswert, auch für Vorsichtige.
Matthias | 1999
LA NEUVIÈME PORTE (THE NINTH GATE)
Woicjech Kilar
Silva Screen 321
45:07 | 16 Tracks